Die Experten der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute senken ihre Wachstumsprognose für das nächste Jahr drastisch von 1,4 auf 0,2 Prozent. Falls die Finanzkrise voll auf die produzierende Wirtschaft durchschlagen sollte, wäre sogar ein Minus von 0,8 Prozent möglich.

Berlin. Deutschland steht nach Einschätzung der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute am Rande einer Rezession.

Die Experten senkten am Dienstag ihre Wachstumsprognose für das nächste Jahr drastisch von 1,4 auf 0,2 Prozent. Falls die Finanzkrise voll auf die produzierende Wirtschaft durchschlagen sollte, wäre sogar ein Minus von 0,8 Prozent möglich. Ein großes Konjunkturprogramm lehnen die Institute jedoch ab. Lob gab es für das 500-Milliarden-Hilfspaket der Bundesregierung für Finanzinstitute. Wegen der Bankenkrise brach das ZEW-Barometer zu den Konjunkturerwartungen von Analysten und großen Anlegern ein. Die führenden Wirtschaftsverbände betonten indes die Stärken der deutschen Unternehmen. Die Gewerkschaften bezeichneten die Arbeitnehmer als Verlierer der Krise.

Der deutsche Aktienmarkt zeigte sich von den Rezessionsbefürchtungen unbeeindruckt und knüpfte an seine Rekorderholung vom Vortag an. Der DAX schloss mit plus 2,70 Prozent bei 5199,19 Punkten. Zu Wochenbeginn hatten die Märkte mit einem Kursfeuerwerk auf den Beschluss des gigantischen Banken-Rettungsplans der Bundesregierung reagiert.

Zum Rettungspaket sagte Udo Ludwig vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle: "Die Aufgabe ist extrem schwierig. Grundsätzlich stimmt die Richtung." Die Regierung müsse darauf achten, dass die Steuerzahler so wenig wie möglich belastet würden. Die Institute sind grundsätzlich zuversichtlich, dass die staatlichen Rettungspakete rund um den Globus die Bankenwelt stabilisieren können. Mit der Entschärfung der Finanzkrise dürfte sich ab Mitte 2009 die Weltkonjunktur allmählich erholen.

Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) legt am Donnerstag die neue Schätzung der Regierung zur Konjunkturentwicklung 2009 vor. Beobachter gehen von einem Wert nahe Null aus. Zum Herbstgutachten sagte Glos: "Für mich ist entscheidend, ein Überspringen der Finanzmarktkrise auf die realwirtschaftliche Entwicklung soweit wie möglich zu verhindern." Wirtschaft und Staat müssten nun an einem Strang ziehen. Die Autoindustrie teilte mit, das Bankenpaket schaffe Vertrauen. "Viele Verbraucher sind verunsichert und stellen ihre Kaufentscheidung für einen Neuwagen derzeit zurück", sagte Verbandspräsident Matthias Wissmann.

Der Bundesverband deutscher Banken ist optimistischer als die Institute. "Wir sehen gute Chancen, dass sich die Auswirkungen der Finanzmarktturbulenzen auf die Realwirtschaft in Grenzen halten", sagte Geschäftsführer Manfred Weber. Er bekräftigte die Prognose der Banken von 0,5 Prozent für 2009.

Industriepräsident Jürgen Thumann sagte: "Die Unternehmen sind gut aufgestellt und gehen gestärkt in diesen Abschwung." Er warnte vor teuren Konjunkturprogrammen: "Das sind Strohfeuer, die lediglich einen Haufen Asche hinterlassen." Die Gewerkschaft ver.di sieht die Arbeitnehmer als Verlierer der Krise: " Es war der erste Aufschwung in der Nachkriegsgeschichte, der nie bei den Menschen angekommen ist."

Für 2008 bestätigten die Forscher ihre Prognose von 1,8 Prozent. Ein umfassendes Konjunkturprogramm - wie es Gewerkschaften und auch Koalitionspolitiker fordern - sei wenig erfolgversprechend, sagte Ludwig. Sinnvoll seien niedrigere Sozialabgaben, eine Reform der Einkommensteuer und schnellere Investitionen in Bildung, Forschung und Infrastruktur. Grundsätzlich dürfe das Ziel ausgeglichener Haushalte aber nicht aufgegeben werden.

In einem "Risikoszenario" warnen die Institute davor, dass bei einem Einbruch der Weltwirtschaft und einer dauerhaften Finanzkrise die Wirtschaftsleistung 2009 im Jahresschnitt sogar um 0,8 Prozent schrumpfen könnte. Damit geriete Deutschland in eine ausgeprägte Rezession, wie sie nach den Ölpreisschocks in den 1970er Jahren und zu Beginn der 1980er Jahre zu beobachten gewesen sei. "Das Risiko, dass die geschilderte ungünstigere Entwicklung eintritt, hat sich in den vergangenen Wochen aber vergrößert", schreiben die Experten.

Im nächsten Jahr dürfte die schwächere Weltwirtschaft gerade den Exportweltmeister Deutschland treffen. Der Job-Boom läuft den Experten zufolge im nächsten Jahr aus. "Am Jahresende werden rund 350 000 Menschen weniger beschäftigt sein als zu Jahresbeginn", heißt es im Gutachten. Die Arbeitslosenquote werde 2008 und 2009 voraussichtlich aber konstant bei 7,5 Prozent liegen. Wegen sinkender Energiepreise werde die Preissteigerung gebremst. Die Inflationsrate gehe von 2,8 Prozent in diesem Jahr auf 2,3 Prozent in 2009 zurück.

Unterdessen kostet die Finanzkrise in der Wirtschaft massiv Vertrauen. Das vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW/Mannheim) ermittelte Stimmungsbarometer fiel im Oktober im Vergleich zum Vormonat um 21,9 Punkte auf minus 63,0 Punkte. Volkswirte hatten nur einen Rückgang auf minus 51,1 Punkte erwartet. Die Konjunkturerwartungen liegen weiter deutlich unter ihrem historischen Mittelwert von 27,5 Punkten. "Die Sorge der Finanzmarktexperten, dass die Krise an den Finanzmärkten auf die Realwirtschaft übergreift, hatte sich verständlicherweise verstärkt", sagte ZEW-Präsident Wolfgang Franz.