Hunderte Menschen in Deutschland glauben, dass sie in irgendeiner Form besessen sind. Medienberichte über umstrittene Teufelsaustreibungen in der katholischen Kirche sorgen jetzt für Aufregung.

München. Sie sehen Schatten oder fühlen sich berührt oder gar gesteuert. Manche hören Stimmen. In schlimmeren Fällen kommt alles zusammen. Was für die meisten nach einem Psychothriller klingt, gehört für Pater Jörg Müller schon fast zum Alltag. Etwa 300 Menschen, die glauben, sie seien besessen oder in irgendeiner Weise mit einem Fluch belegt, hätten sich allein vergangenes Jahr bei ihm gemeldet, erzählt der 65-jährige Priester aus Freising.

Für die meisten gelte: "Da ist Therapie angesagt", berichtet er. "Das hören die Leute oft nicht gern." Denn viele wollen durch einen Exorzismus, also durch eine Austreibung, von ihrem Leiden befreit werden. Berichte des Bayerischen und des Westdeutschen Rundfunks, wonach in der katholischen Kirche der umstrittene Austreibungsritus - sogar mit Erlaubnis von Bischöfen - noch immer regelmäßig betrieben wird, haben für Aufregung gesorgt.

Der Sprecher des Erzbistums Paderborn, Ägidius Engel, bestätigte, dass in den vergangenen acht Jahren drei Menschen von einem Seelsorger exorziert worden sind. 18 konkrete Anfragen seien im Erzbistum seit 1999 wegen einer möglichen Teufelsaustreibung eingegangen.

Es handle sich um seelisch höchstleidende Personen, "bei denen selbst nach Meinung von Fachleuten nur noch der liebe Gott helfen kann", sagt Engel. Über jeden Exorzismus entscheide der Erzbischof, nachdem zuvor zwei ärztliche Gutachten eingeholt worden seien. Eine Teufelsaustreibung werde nur angewandt, wenn alle Ärzte mit ihrem Latein am Ende seien. Die Betroffenen selbst müssten ausdrücklich ihre Einwilligung geben.

Der BR berichtete, er habe Informationen, wonach auch der Augsburger Bischof Walter Mixa offiziell einen Exorzisten in Bayern beauftragt habe. "Wir haben derzeit im Bistum Augsburg keinen aktuellen Fall von Exorzismus", sagt Bistumssprecher Christoph Goldt. Als Mixa noch Bischof in Eichstätt war, erteilte er dort einem Pfarrer 1997 die grundsätzliche Erlaubnis zur Anwendung von Exorzismus, wie der Eichstätter Bistumssprecher Norbert Staudt sagt. "Es gab keinen einzigen Fall in der Sache", betont er. Zudem hätte der Bischof vorher in jedem einzelnen Fall zustimmen müssen.

Die grundsätzliche Erlaubnis sei aber 2005 zurückgenommen worden - wegen Gerüchten, der Pfarrer sei ohne Absprache des Bischofs tätig geworden. Der Priester sei inzwischen im Ruhestand. "Es ist kein Thema", sagt Staudt über Exorzismus im Bistum Eichstätt.

Auch der Paderborner Bistumssprecher Engel betont, in Deutschland gebe es im Vergleich zu Ländern wie Italien oder Afrika nur wenige Fälle. Aus diesem Grund habe die Bischofskonferenz bislang auch keinen Bedarf gesehen, für jedes Bistum einen Exorzisten abzustellen. Papst Benedikt habe aber erst vor wenigen Wochen den Wunsch geäußert, dass es weltweit rund 3.000 Exorzisten geben müsse, erzählt Engel.

"Der Begriff Exorzismus ist falsch besetzt in der Phantasie der Leute", meint Pater Müller. "Die sehen Schwefel steigen und den Teufel tanzen." Der ausgebildete Psychotherapeut würde den Begriff Exorzismus darum am liebsten streichen. "Es geht hier um Befreiungsgebete und nicht die Austreibung des Teufels."

Müller, der einem Münchner Kreis von Priestern, Ärzten und Therapeuten angehört, der Menschen in seelischer Not helfen will, war selbst schon bei einem sogenannten großen Exorzismus in Deutschland dabei. Ein indischer Priester sei einem Dämon in einer Frau, die Schatten gesehen und Wut auf alles Sakrale gehabt habe, mit liturgischen Gebeten zu Leibe gerückt, erzählt er. "Das Ergebnis war mager." Er selbst habe Zweifel, ob die Frau überhaupt besessen gewesen sei.

Der Münchner Kreis habe seit seiner Gründung vor mehreren Jahren keinen einzigen Auftrag für einen großen Exorzismus gegeben, sagt Müller. Trotzdem ist er überzeugt, dass es das Böse gebe, was auch Besitz von Menschen ergreifen könne. "Zu sagen, das gibt es nicht, ist mir zu hochmütig", sagt der 65-jährige Pater.

Professor Hans Förstl dagegen ist angesichts solcher Aussagen empört. "Es ist unerhört, dass sich die Kirche heute noch hinter diese Auffassung stellt", sagt der Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Technischen Universität München. "Ich halte es für bedenklich, diese Art von Krankheitsbild anzubieten." Manche kranke Menschen seien dafür empfänglich. "Man provoziert gerade solche Situationen."

Er unterstelle der Kirche und Seelsorgern im Prinzip guten Willen, kranken Menschen helfen wollten, sagt Förstl. Wie jede andere medizinische Therapie könne auch die Psychotherapie nicht immer eine hundertprozentige Erfolgsquote bieten. Doch Exorzismus sei dann der falsche Weg. "Da maßt sich ein Therapeut eine magische Autorität an. Das ist meiner Meinung nach abstrus."