Geschichten, die das Internet schreibt: Ohne einen Cent Profit wird YouTube zum Eldorado aller Videoclip-Fans.

Washington. Die Video-Plattform YouTube hat zwar in ihrer fast zweijährigen Geschichte noch nie einen Cent Profit erwirtschaftet - war aber zuletzt mit das Begehrteste, was das Internet zu bieten hat. Der Internet-Gigant Google lässt sich den Kauf der Seite, auf der jedermann kleine Videoclips platzieren und ansehen kann, den gewaltigen Betrag von 1,65 Milliarden Dollar (1,31 Mrd Euro) in Aktien kosten - die teuerste Akquisition der Google- Firmengeschichte. Immerhin ist YouTube in dem jungen Markt das Maß der Dinge: Rund 100 Millionen Videoabrufe werden pro Tag registriert.

Dabei gibt es auch bizarre Erfolgsgeschichten. Einer der populärsten Amateur-Videoproduzenten ist zum Beispiel "Peter", ein 79-jähriger Witwer aus England. Seine bei YouTube als Serie von Fortsetzungsvideos veröffentlichten Erinnerungen lockten über 1,8 Millionen Zuschauer vor die Computerbildschirme. Dabei sind die Videos denkbar unspektakulär - der ehemalige Beamte der englischen Gesundheitsbehörde (Pseudonym: "geriatric1927") sitzt da einfach mit einer altmodischen Tapete im Hintergrund und erzählt aus seinem Leben. Das Phänomen wurde von traditionellen Medien aufgegriffen - was wiederum die Zuschauerzahlen nochmals in die Höhe trieb. Ein weiterer Hit dieses Sommers waren Videos von Schaumfontänen, die nach Einwurf bestimmter Bonbon-Sorten aus Limonadenflaschen schießen.

Nicht nur rüstige Senioren und Spaßmacher aller Art haben die neue Kommunikationsform für sich entdeckt. In den USA laden inzwischen auch Politiker ihre Wahlwerbespots auf die Server des Videoportals - oder blamable Videoclips von Konkurrenten. Aus Deutschland versuchte die rechtsradikale NPD eigene Nachrichtensendungen bei YouTube zu platzieren - was aber vom Betreiber umgehend unterbunden wurde.

YouTube ging im Februar 2005 mit dem Slogan "Broadcast Yourself" (Strahle dich selber aus) online. Gegründet wurde die Firma von drei ehemaligen Mitarbeitern des eBay-Bezahldienstes PayPal - nach bester Tradition späterer Computerriesen wie Apple oder Hewlett-Packard in einer Garage. Das Unternehmen mit 67 Mitarbeitern hat seinen Firmensitz oberhalb einer Pizzeria. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Pizza-Boten zuweilen Presseanfragen an die YouTube-Angestellten weiterleiten. Ganz im Geiste des Unternehmens äußerten sich die YouTube-Gründer Chad Hurley (29) und Steve Chan (28) zu der Übernahme in einem verwackelten Video auf der eigenen Seite - und konnten sich nach eineinhalb Minuten wie kleine Jungs nicht mehr vor Lachen einkriegen.

Hinter dem Erfolg von YouTube steht ein Generaltrend, der die Medienbranche zunehmend verändert. "Die unter 40jährigen verbringen bereits mehr Zeit im Netz als vor dem Fernseher", erklärt der Medienwissenschaftler Prof. Larry Gillick (American University Washington). In Großbritannien schlägt der Direktor für neue Medien der BBC, Ashley Highfield, Alarm. Sollten die Fernsehanstalten nicht bald mit neuen Programmformen aufwarten, bekäme man nur noch die "Brotkrumen" ab, die Seiten wie YouTube im Internet abwerfen, meinte Highfeld im "Daily Telegraph".

Es geht um eine rasante Umverteilung der Werbebudgets Richtung Internet. In den USA wuchs der Umsatz mit Internetwerbung in den ersten sechs Monaten 2006 im Jahresvergleich um 37 Prozent auf 7,9 Milliarden Dollar. Im amerikanischen Radiosender NPR prognostizierte der stellvertretende Chefredakteur des Fachmagazins "Wired", Thomas Goetz, dass angesichts schneller Internetzugänge und der Sender- unabhängigen "Demokratisierung" der Inhalte, der Siegeszug der Internet-Videoseiten unaufhaltbar sei.

Ein Problem von YouTube und anderer Anbieter ist aber, dass sich auch häufig urheberrechtlich geschütztes Material unter den Clips findet. Während der Fußball-Weltmeisterschaft konnte man die Höhepunkte vieler Spiele bereits Minuten nach Abpfiff auf YouTube wiederfinden. Solche Inhalte wurden anfangs von den Betreibern der Seite oft erst auf Proteste des Fußballwelterbandes FIFA entfernt. Der US-Sender NBC handelte präventiv und ging eine "strategische Partnerschaft" mit YouTube ein. Inzwischen gibt es auch Deals mit Warner Music, Sony BMG, Universal Music und dem TV-Konzern CBS.

In Deutschland sind ebenfalls die ersten Fernsehsender auf den Internetvideo-Zug aufgesprungen. Anfang September erwarb die ProSiebenSat.1-Gruppe 30 Prozent am Deutschen Video Portal MyVideo. RTL startete inzwischen sein eigenes Videoportal, Clipfish.de. Beide Webseiten verzeichnen derzeit aber nur marginale Besucherzahlen im Vergleich zur Konkurrenz aus den USA.