Dies ist nicht einfach ein Film. Dies ist eine physische Erfahrung. Ein Film, der einen mitnimmt. Der einen mitfühlen, mitleiden, mitschwitzen, mitbangen lässt. Man kommt zitternd aus dem Kino. Man hat die Hölle erlebt, ja, meint sie wirklich selbst erlebt zu haben. Und hat mehr erfahren über das Grauen des Krieges als in hundert anderen Kriegs- oder auch Antikriegsfilmen.

Allein dieses Bild: Ein britischer Soldat kämpft sich durch eine umlagerte Stadt bis zur Küste vor. Dort weitet sich der Blick. Und man sieht Zehntausende Soldaten darauf harren, auf einem Schiff mitgenommen zu werden. Wohl wissend, dass nicht alle Platz haben. Und dann kommen feindliche Flieger, vor denen sie nicht ausweichen können.

„Dunkirk“ ist wohl der ungewöhnlichste Kriegsfilm, der je gedreht wurde. Er handelt von keiner Schlacht, sondern von einer Evakuierung: der „Operation Dynamo“, in der 400.000 britische, französische und belgische Soldaten, die 1940 in Dünkirchen eingekesselt sind, in das nur 26 Meilen entfernte England gerettet werden sollen. Wobei kaum Schiffe zur Verfügung stehen, Unwetter die Aktion erschweren und jedes Schiff, das ausläuft, sofort beschossen wird.

Die bis dato größte Rettungsaktion der Weltgeschichte wurde zum Sinnbild britischen Durchhaltevermögens. Klar, dass das Drama um Dünkirchen da schon öfter verfilmt wurde, 1958 von den Briten, 1964 von den Franzosen. Aber noch nie so wie hier. So etwas wie eine Geschichte gibt es eigentlich nicht, lediglich Momentaufnahmen, Handlungsfetzen. Auch wenn zahllose Verluste gezeigt werden, spritzt kaum Blut, fliegen nicht die üblichen Gliedmaßen durch die Luft. Es gibt auch kaum Dialoge. Keine Feindbilder. Das Wort „Nazi“ fällt kein einziges Mal.

Christopher Nolan, Englands ewiges Regiewunderkind, zeigt in seinem mit 70-mm-Imax-Kamera aufwendig gedrehten Epos nur schlotternde, entkräftete, traumatisierte junge Männer in nimmer endender Todesangst. Die alles versuchen, um durchzukommen. Gezeigt wird dies aus drei Perspektiven: an Land, auf See und in der Luft. Ein junger Soldat mit dem symbolischen Namen Tommy ­(Fionn Whitehead) sucht dem tödlichen Strand zu entkommen. Ein britischer Zivilist (Mark Rylance) und sein Sohn setzen mit ihrem Boot über den Kanal, um wenigstens ein paar Landsmänner zu retten. Und ein Pilot (Tom Hardy) versucht mit seiner Spitfire die Rettungsmanöver vor feindlichen Fliegern zu beschützen – noch als er selbst getroffen ist.

Diese drei Stränge haben unterschiedliche Zeitrahmen. Die Ereignisse an der Küste erstrecken sich über eine Woche, die auf dem Meer über einen Tag, die in der Luft nur über eine Stunde. Und doch werden sie ineinander verzahnt, als würden sie gleichzeitig geschehen. Das irritiert zunächst. Aber dieser Verfremdungseffekt erzielt einen ganz eigenen, rätselhaften Sog. Und lässt am Ende gleich drei Showdowns kulminieren.

Kameramann Hoyte van Hoytema hat das in grandiose Bilder eingefangen, die sich als Metaphern ins Hirn brennen, und Cutter Lee Smith montiert die Ebenen virtuos ineinander. Man sollte sparsam umgehen mit Worten wie „Meisterwerk“. Hier aber ist das angebracht.

Dunkirk “ GB 2017, 107 Minuten, ab 12 Jahren, Regie: Christopher Nolan, Darsteller: Mark Rylance, Kenneth Branagh, Tom Hardy, Cillian Murphy, Fionn Whitehead, Barry Keoghan, täglich im Abaton (OmU), Cinemaxx Dammtor/Harburg, Koralle (OmU), Passage, Savoy, Studio (OmU), UCI Mundsburg/Othmarschen/Wandsbek, Zeise;