Einmal im Monat lädt das Abendblatt ab sofort prominente wie weniger prominente Menschen zum neuen Elbvororte-Stammtisch ein

Dass dieses Quintett viel mehr verbindet als intensive Bodenhaftung in den Elbvororten, wird schon zu Beginn dieses munteren Gesprächskreises klar. „Wir haben alle eine Menge mit Menschen zu tun“, stellt Albert Darboven fest und hebt sein Bierglas. Ein Prosit auf die Premiere des „Kajütenschnacks“.

Einmal im Monat werden sich fortan namhafte und „normale“ Bürger an einen runden Tisch setzen, um ohne Tagesordnung loszulegen – frank und frei. Geladen sind Persönlichkeiten, die sich vor Ort auskennen, vernetzt sind und etwas zu sagen haben. Der rote Faden ist klar: Das aktuelle Leben zwischen Othmarschen, Sülldorf, Blankenese, Osdorf und Rissen, am Elbstrom also. Ein Ergebnis soll es bewusst nicht geben. Austausch ist Trumpf. Guter Gastgeber ist diesmal die Crew der Dübelbrücker Kajüt in Teufelsbrück.

Der Aufschlag des Kaffeekaufmanns Darboven bringt die Diskussion schnörkellos in Fahrt. Denn auch die Gastronomin Manuela Gehrmann, die Malerin Bettina Bick, Pastor Martin Hofmann und Fleischermeister Rolf Hübenbecker wissen aus bester Erfahrung, wie die Menschen in den Elbgemeinden ticken.

Um mit dem Positiven zu beginnen: Was macht denn den Charme und den Charakter in diesen Stadtteilen aus?

„Wohnqualität und lokale Verbundenheit sind trotz vieler neu Hinzugezogener hervorragend“, sagt Bettina Bick. Seit 1970 habe sich viel verändert. Während ihrer Schulzeit hat sie eine Menge erlebt, zum Beispiel Kinder von Reedern (mit Butler), die in einer Klassengemeinschaft friedlich mit Kindern aus Sozialwohnungen gelebt und Kontakt miteinander gehabt hätten. Heute dominierten leider bisweilen Klassendünkel und ein übertriebenes Markenbewusstsein. Die Künstlerin und Mutter einer 20-jährigen Tochter spricht aus Erfahrung. Früher lebte sie in Blankenese, heute in ihrer Sülldorfer Atelierswohnung – mit Blick auf eine riesige Pferdekoppel. Da spitzt Züchter Darboven die Ohren.

Martin Hofmann, Pastor der Christuskirche in Othmarschen und 2015 mit dem Deutschen Predigtpreis (Thema: „Was ist uns heilig?“) ausgezeichnet, horcht auf, als Manuela Gehrmann ihren Geburtsort nennt: Himmelpforten im Landkreis Stade. Seit Jahrzehnten wohnt die Betreiberin des Pontons Op’n Bulln und der Kajüte SB 12 in direkter Nähe ihrer Lokale am Strandweg. „Blankenese ist ein Dorf“, sagt sie, „hier ist alles einen Hauch gemütlicher und langsamer.“ Zustimmendes Kopfnicken in der Runde. „Man zieht eine gewisse Kraft aus der ruhmreichen Vergangenheit“, ergänzt Darboven.

Rolf Hübenbecker betont das dörfliche Flair in Nienstedten. Wer in Ratze-burg zur Welt kam, indes seit 5. Mai 1973 in seinem Fleischwarengeschäft die Kundschaft mit Leidenschaft bedient, darf sich ein Urteil erlauben. „Es gibt immer Ausnahmen von der Regel, doch das Gros der Leute hier hat das Herz auf dem richtigen Fleck.“ Und manchmal wird noch Platt gesnackt. Diese Feststellung bringt erneut Albert Darboven auf den Plan. Früher im Freihafen, als Lehrling bei Rothfos, musste er Kaffeesäcke schleppen. Ohne Plattdeutsch ging in diesem Umfeld gar nichts.

Hübenbecker fährt fort: „Ich habe reichlich gelernt in den Elbvororten.“ Zum Beispiel, dass „einige Othmarscher ihren eigenen Stolz haben“. Pastor Hofmann, ein gebürtiger Wandsbeker und seit zehn Jahren in Othmarschen wohnhaft, bereichert diese Ansicht mit einer delikaten Nuance: „Den richtigen Othmarscher erkennt man daran, dass er kein Othmarscher sein will.“ Gelächter am Stammtisch. Noch eine Runde bitte, Herr Batija. Der Wirt der Dübelbrücker Kajüt reagiert prompt mit einem gut bestückten Tablett. Obwohl seine Gaststätte jetzt, am frühen Abend, bestens besucht ist, läuft der Service wie gezapft.

Zurück zur Sache. „Als ich nach Othmarschen wechselte, hatte ich Vorurteile“, bekennt Martin Hofmann. Längst habe er diese über Bord geworfen. Seine vorherigen Stationen waren ein Berufsbildungswerk für behinderte Jugendliche in Husum, das Projekt „Rathauspassage“ in Hamburg und geistliche Arbeit in Bahrenfeld. Seine Erkenntnis: Habe man in den Elbvororten schon zuvor intensiv zusammengestanden, sei durch die Flüchtlings-arbeit die Annäherung weiter intensiviert worden.

Einer reiche dem anderen die Hand. Und die Spendenbereitschaft? Im Prinzip in Ordnung – doch auch die Christuskirche Othmarschen hat Finanzierungsprobleme. In diesem Jahr fehlen 70.000 Euro im Etat. Noch gibt’s Reserven, aber nicht mehr lange.

Das Stichwort greift „Atti“ Darboven auf. Anlässlich des 150. Geburtstages seiner Firma vor einem Jahr habe er statt Geschenke um Spenden für den „Stiftungsfonds Friede der Religionen“ gebeten. Ergebnis: überragend. Für den 3. September organisiert der Unternehmer auf dem Gelände seines Gestüts Idee in Rissen erneut ein „Interreligiöses Friedensgebet“. Zuletzt lauschten mehr als 500 Besucher den Ansprachen je eines katholischen und evangelischen Geistlichen, eines Rabbiners sowie eines Imams. Auch diesmal seien Gäste herzlich willkommen.

Bei Darbovens eigenhändig geschaffenen Kunstwerken drehe es sich zum Beispiel um Zeit, Raum und Fortune. Anlass für Martin Hofmann zum Einmischen: „Was ist in diesem Zusammen-hang Fortune?“ Der Pastor zitiert Albert Einstein: „Gott würfelt nicht.“

Die ohnehin schon lebhafte Debatte gewinnt zusätzlich an Schwung. Im Sauseschritt geht’s um Gott und die Welt, speziell in den Elbgemeinden. „Durch meinen Beruf als Malerin komme ich in die Häuser aller möglichen berühmten Leute und kriege dort Interna mit“, berichtet Bettina Bick. „Oft wird viel Soziales gemacht, jedoch nicht darüber geredet.“ Manuela Gehrmann erzählt von „sehr offenen und hilfsbereiten Menschen“ in ihrem Umfeld. Ihre Ressentiments, Blankeneser seien überwiegend alt und reich, habe sie längst ad acta gelegt. „Die Devise ist oft: Gutes tun und schweigen“, weiß Rolf Hübenbecker. Fazit eines Mannes, der mit zehn Jahren als Quiddje in die Hansestadt kam: „Die Elbvororte sind keinesfalls kalt.“ Trotzdem wirft Pastor Hofmann eine nachdenkliche Beobachtung in die Runde: „Bisweilen sind die Hecken vor den Häusern so hoch, dass man seine Nachbarn nicht mehr kennt.“ Einige lebten „unter einer Käseglocke“. Jüngst sei ihm ein 14-jähriger Schüler begegnet, der noch nie in seinem Leben S-Bahn gefahren war. Im Kontrast stehen angenehme Erfahrungen im Konfirmandenunterricht. Ein mehrwöchiges Projekt „Armut in Hamburg“ stieß auf reges Interesse. Apropos: Albert Darboven wurde einst in der Blankeneser Kirche konfirmiert. 88 Mädchen und „Atti“ als einziger Junge prägten fürs Leben.

Nun darf wieder gelacht werden. Schlussfrage an das Quintett: Was ist Ihr Lieblingsplatz in den Elbvororten? Albert Darboven geht gerne in den Klövensteen „in den Busch“ oder demons­triert Besuchern den einmaligen Ausblick auf die Halbinsel Schweinesand. Martin Hofmann genießt die Stille um 22 Uhr in der Christuskirche Othmarschen – ganz allein mit sich und seinen Gedanken. Manuela Gehrmann kehrt auf ein Schmökerstündchen mit Espresso in die Buchhandlung Kortes ein. Bettina Bick liebt die Atmosphäre im Vereinshaus des Blankeneser Segel-Clubs.

Allesamt, und das ist keine Höflichkeitsfloskel, kehren immer wieder mal auf den Ponton Op’n Bulln ein. Auch Rolf Hübenbecker, privat wie beruflich: „Im Sommer liefern wir manchmal Spanferkel vom Grill dorthin.“ Auch in einem weiteren Punkt besteht Einigkeit: Der Absacker des heutigen „Kajüten-Schnacks“ wird draußen genommen – mit Blick auf den Fluss, der so viel verbindet.