Berlin.

Eng gedrängt stehen Schweine knöcheltief in ihrem eigenen Mist – zum Teil sind sie verletzt. Immer wieder tauchen solche illegal von Tierschützern gefilmten Aufnahmen aus Massentierhaltungen in der Öffentlichkeit auf.

Dass ihr Schnitzel von einem dieser Schweine stammen könnte, blenden viele Verbraucher aus, wie eine Studie der Universität Oslo zeigt. Der moderne Mensch habe eine gedankliche Barriere zwischen Fleisch und Tier geschaffen. Nur so könne er noch mit Appetit essen, was einst denken und fühlen konnte. Doch was wäre, wenn kein Tier mehr für den Schinken leiden müsste? Er würde genauso aussehen, genauso schmecken. Doch statt am lebenden Organismus würde er als Zellkultur auf einer Petrischale wachsen.

Seit zwei Jahren leitet Arianna Ferrari vom Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse in Karlsruhe das vom Bundesforschungsministerium geförderte Projekt „Visionen von In-vitro-Fleisch“. Durch Umfragen, Diskussionen mit der Fleischindustrie, mit Politik und Wissenschaft versuchen die promovierte Philosophin und ihr Team
herauszufinden, ob Fleisch aus dem Labor in Deutschland eine Zukunft hätte.

Dass das Projekt in ihren Händen liegt und nicht in denen etwa eines Biotechnologen, hat Gründe. Den Menschen sei bewusst, dass für sie Tiere leiden müssten, dass die Fleischproduktion riesige Mengen an klimaschädlichen Gasen produziert und stetig wachsende Flächen für Futtermittel beansprucht. Aber deswegen auf Fleisch verzichten, möchten nur wenige – „sonst ließe sich das Problem sicher auch ohne eine Erfindung wie In-vitro-Fleisch lösen“, sagt Ferrari.

Pflanzenwurst ist keine Alternative für alle

Produkte aus Insektenprotein, heimliche Hoffnungsträger deutscher Wissenschaftler, sind wie Umfragen zeigen nicht massentauglich – zu eklig. Rein pflanzliche Wurst- und Fleischalternativen gewinnen zwar an Bedeutung, doch echtem Fleisch können sie nicht den Rang ablaufen. Zu viele Verbraucher hängen an ihrem Steak oder Schnitzel. Letztlich ist es also eine Frage der Philosophie, der Einstellung, keine von technischer oder wirtschaftlicher Machbarkeit. „An einer Lösung, die kein tierisches Fleisch beinhaltet, werden sich nie alle beteiligen“, bilanziert Ferrari ihre Erfahrungen.

In-vitro-Fleisch ist demnach ein Kompromiss. Vor einigen Jahren begannen Forscher in den Niederlanden und den USA, die Grundidee einer Technologie für die Lebensmittelerzeugung zu nutzen, die bis dahin etwa zum Nachzüchten der Haut von Brandopfern angewandt wurde – das sogenannte Tissue Engineering.

Große Initiativen unter anderem in Großbritannien, Japan und Israel arbeiten heute mit vergleichbaren Techniken. Bereits 2013 stellte die Universität Maastricht den ersten im Labor gezüchteten Burger vor. Projektleiter Marc Post beschreibt die Prozedur so: „Man entnimmt zum Beispiel einer Kuh mit einer Nadel Muskelgewebe, extrahiert die Stammzellen und lässt sie sich unter günstigen Bedingungen vermehren. Haben sich ausreichend viele Zellen gebildet, werden sie auf ein elastisches Nährmedium gebracht, wo sie sich bewegen und Protein ansetzen können. Nach drei Wochen erntet man die Zellen und macht daraus Burger.“ Daher auch der aus der Medizin entliehene Begriff „in vitro“ – organische Vorgänge, die außerhalb des lebenden Organismus stattfinden.

Auch im Silicon Valley, wo die Firma Memphis Meats sitzt, ist dieser Pioniergeist spürbar. In den kalifornischen Laboren entstanden schon Hackbällchen und Chickenburger aus tierischen Zellen. Auf einer Entwicklerkonferenz erklärt Vorstand Uma Valeti, wie sein Start-up 2014 mit einem Produktionspreis von 3300 US-Dollar pro Gramm Laborfleisch einstieg. Der höherpreisige Einzelhandel soll sein In-vitro-Fleisch noch vor 2020 für zehn Cent pro Gramm bekommen, mit zwei Cent pro Gramm soll bis 2021 der Markteinstieg bei den Discountern beginnen. Mit seiner unabhängig von der Universität Maastricht finanzierten Firma Mosa Meat verfolgt Mark Post einen ähnlichen Zeitplan.

Ob das tatsächlich funktioniert, ist aber längst nicht so klar, wie die Entwickler es verkaufen. „Ein großes Problem ist etwa, dass noch keine optimalen Zelltypen gefunden wurden“, sagt Ferrari. Ein anderes ist das Nährmedium. Bislang wird fetales Kälberserum verwendet. „Es wird mit einer für die Tiere sehr schmerzhaften Prozedur aus Kälberföten gewonnen“, erklärt die Wissenschaftlerin. Eine teure und wenig tierfreundliche Lösung, die sich kaum für die Massenproduktion eigne.

Auch der Stoffwechsel innerhalb der Zellkulturen bereitet den Wissenschaftlern laut den Recherchen des Teams „Visionen von In-vitro-Fleisch“ noch Schwierigkeiten. So lassen sich die Zellen zwar künstlich ernähren, doch der Abtransport der dabei anfallenden Abfallstoffe lässt sich außerhalb des komplexen Kreislaufs eines Lebewesens nur mit Mühe organisieren. Zudem sind die Zellen anfällig für Keime, der Einsatz von Antibiotika derzeit noch unverzichtbar.

In Deutschland gibt es viele Gegner

Das sind technische Probleme. Lösbar, glaubt Ferrari: „Es wird bereits an Alternativen geforscht. Wenn es hier einen Durchbruch gibt, würde sich das auch auf Verfahren im Gesundheitsbereich auswirken, das Interesse daran ist groß“. Das größere Problem seien die Menschen. „In Deutschland gibt es derzeit keine Gruppe, die zu In-vitro-Fleisch forscht, soweit wir wissen“, sagt Ferrari. Aber wenn das Thema auch hier bekannter würde, würde sich eine Gegenfront formieren, die das Fleisch aus dem Labor ablehne, ist die Wissenschaftlerin überzeugt. „Ökolandbau ist in Deutschland mittlerweile verbreitet und hoch angesehen, In-vitro-Fleisch steht in einem gefühlten Widerspruch zur natürlichen Erzeugung von Lebensmitteln“, so Ferrari.

In Politik und Wirtschaft spiegelt sich diese Befürchtung wider. „Grundnahrungsmittel – und dazu gehört auch Fleisch – sind Produkte der Natur. Wenn die Forschung jetzt Fleisch im Labor erzeugt, kann ich verstehen, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher diesem Produkt mit Skepsis begegnen. Deshalb – und auch wegen der hohen Kosten – dürfte es wohl auf absehbare Zeit keine große Verbreitung finden“, sagt Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) dieser Redaktion.

Die drei größten deutschen Fleischproduzenten, Westfleisch, Vion und Tönnies, äußern sich zu dem Thema nicht. Tönnies hat laut eigenen Angaben keinen Experten für das Thema, Westfleisch meldet sich auf Anfragen nicht zurück. Vion verweist darauf, dass das Unternehmen ein Hackfleisch mit zusätzlichem pflanzlichen Protein im Angebot habe. Dabei handele es sich um einen vergleichbaren Ansatz. „Die Wahrnehmung ist: Das ist künstlich, das ist gefährlich oder es hat mit Gentechnik zu tun – was nicht stimmt“, sagt Ferrari. Dass auch die konventionelle Fleischproduktion oft kaum etwas mit Natürlichkeit zu tun habe, sei den meisten nicht klar.