Als Sofia Coppola vor einigen Wochen bei den Filmfestspielen in Cannes mit dem Preis für die Beste Regie geehrt wurde, zeigte sich mancher Festivalbesucher überrascht. Nicht so sehr, weil Coppola in der 70-jährigen Festivalgeschichte überhaupt erst die zweite Frau ist, die diese Auszeichnung mit nach Hause nehmen darf. Sondern vielmehr, weil die versammelte Kritikerschar ihren neuen Film „Die Verführten“ zur Weltpremiere eher verhalten aufgenommen hatte. Das ist für die Amerikanerin allerdings keine neue Erfahrung: Seit ihrem großen Durchbruch mit „Lost In Translation“ ist sie nie mehr auf einhellige Zustimmung gestoßen, weder mit dem damals in Cannes ausgebuhten „Marie Antoinette“ noch mit ihrem Venedig-Gewinner „Somewhere“.

Schon auf dem Papier hatte „Die Verführten“ für Skepsis gesorgt. Ausgerechnet Coppola, deren Filme sich sonst durch Subtilität und Ruhe auszeichnen, dreht ein Remake von „Betrogen“? Und tritt damit die Nachfolge von Macho-Regisseur Don Siegel an, der 1971 Thomas P. Cullians Roman „The Painted Devil“ mit Lieblingsschauspieler Clint Eastwood in der Hauptrolle mit Schmackes verfilmt hatte? Doch siehe da: gerade weil Coppola einen anderen Blick auf die Geschichte hat, ergibt ihr Film eine Menge Sinn.

In „Die Verführten“ ist es nun Colin Farrell, der als verwundeter Nordstaaten-Soldat Corporal McBurney während des amerikanischen Bürgerkriegs auf Feindesland Unterschlupf in einem Mädchenpensionat findet. Geführt wird das „Seminary For Young Ladies“ mit streng-religiöser Hand von Martha Farnsworth (Nicole Kidman), die gemeinsam mit Edwina Dabney (Kirsten Dunst, die schon in Coppolas Debüt „The Virgin Suicides“ mitspielte) fünf jungen Frauen zwischen acht und 18 Jahren Anstand, Sittlichkeit und nicht zuletzt Schutz angedeihen lässt.

Kontakt mit dem männlichen Geschlecht ist keine von ihnen gewöhnt, weshalb McBurneys Anwesenheit für Aufregung sorgt. Ihn an die gelegentlich vorbeiziehenden Südstaaten-Truppen zu verraten, wäre die einfachste Lösung. Doch Farnsworth und ihre Schützlinge entscheiden sich, den Mann zunächst mal gesund zu pflegen. Aus der anfänglichen Angst erwachsen bald Neugier und schließlich Begierde, was natürlich nicht ohne Folgen bleibt, weder für die Gemeinschaft der Frauen noch für ihren Gast.

Interessanterweise entdeckt Coppola auch im Kern dieser Geschichte ihr Thema: junge Frauen und die Langeweile des Lebens. Auch darüber hinaus ist „Die Verführten“ ein typischer Coppola-Film geworden. Das Ensemble ist fantastisch, die Musik stammt von der Band Phoenix, deren Sänger Thomas Mars mit der Regisseurin verheiratet ist, und die Bilder bestechen durch Präzision, Schönheit und Details noch im vermeintlich nebensächlichsten Kostüm.

Coppolas Fokussierung auf die ihr eigene Handschrift geht auf Kosten von einigem, was für Siegel bei „Betrogen“ von essenzieller Bedeutung war. Die Brutalität des Krieges etwa kommt in „Die Verführten“ quasi nicht vor, und auch die Sklaverei (1971 nur durch eine Nebenfigur präsent) ist für sie kein Thema. Ihr geht es einzig um den Mann als gefährlichem wie verführerischem Fremdkörper in einer Frauengemeinschaft, und wie diese, nicht ohne Komplikationen, damit umgeht.

Wie Coppola dabei nach und nach feinsinnig für sie ungewohnte Saiten aufzieht und das Melodrama mit Humor, Camp-Elementen und auch Blut immer mehr in einen Gruselthriller umwebt, ist faszinierend. Und dass sie dabei stets auf einen dezidiert weiblichen Blick setzt und ihren männlichen Protagonisten zum Objekt statt Subjekt der Geschichte macht. Im Kino ist diese Perspektive auch heute noch viel zu wenig selbstverständlich. Schon deswegen ist der Preis in Cannes unbedingt verdient.

Die VerführtenUSA 2017, 93 Minuten, ab 12 Jahren, Regie: Sofia Coppola, Darsteller: Colin Farrell, Elle Fanning, Kirsten Dunst, täglich im Abaton (OmU), Alabama, Koralle, Passage, Studio (OmU), UCI Mundsburg, Zeise