Graz/Berlin.

Doris Grünwald und ihre Mama wirken unzertrennlich. Wie sie zusammen lachen, sich in den Arm nehmen, sich voller Zuneigung mit ihren blauen Augen anschauen – ein harmonisches Mutter-Tochter-Gespann. Wenn da nicht diese eine Sache wäre: Die Frauen sind gar nicht verwandt. Doris wuchs bei Evelin Grünwald und ihrem Mann als Kuckuckskind auf, ohne dass Eltern oder Tochter etwas ahnten. Sie erfuhren erst davon, als Doris schon erwachsen war. Offenbar war sie kurz nach der Geburt vertauscht worden. Für Doris war die Nachricht ein Schock. „Ich habe am ganzen Körper gezittert“, erinnert sich die junge Frau aus der Steiermark.

Das Geheimnis kam ans Licht, als die heute 26-Jährige zum Blutspenden ging. „Sie hat den Blutspendeausweis zugeschickt bekommen, worin vermerkt war, dass sie die Blutgruppe 0 positiv hätte. Wir wussten aber aufgrund der Aufzeichnungen im Mutter-Kind-Pass, dass Doris A negativ hat“, sagt Mutter Evelin Grünwald zur österreichischen „Kronen Zeitung“. „Zumindest glaubten wir das bis dahin.“ Ein DNA-Test brachte Gewissheit. Die Familie ist sich sicher, dass die Verwechslung in der Grazer Klinik passierte, in der Evelin Grünwald am 31. Oktober 1990 ihr Mädchen zur Welt brachte. Ein Gericht verurteilte das Landeskrankenhaus vor wenigen Tagen zu 90.000 Euro Schmerzensgeld.

Auch wenn es keine offiziellen Zahlen gibt: Fachleute sind sich sicher, dass Babys häufiger vertauscht werden, als man glaubt. Das kann etwa passieren, wenn ein Namensbändchen beim Waschen oder Anziehen vom Arm fällt. Um ein Neugeborenes zuordnen zu können, sind diese Bändchen unerlässlich. In fast 40 Prozent der deutschen Kliniken, ergab vor einigen Jahren eine Umfrage der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG), seien sie schon einmal versehentlich vom Handgelenk gerutscht. Die DGGG empfiehlt daher, in Anwesenheit mindestens eines Elternteils zwei Bändchen an beiden Handgelenken des Säuglings zu befestigen. Damit die Bänder nicht abfallen, sollen sie mit einer Zange verschlossen werden.

Immer wieder werden Neugeborene verwechselt

So soll verhindert werden, was offenbar in Graz passiert ist: Weil Evelin Grünwalds Baby aufgrund von Komplikationen per Kaiserschnitt geholt wurde, bekam die Mutter eine Vollnarkose. Erst 20 Stunden nach der Entbindung brachte eine Schwester ihr das Kind. In diesem Zeitraum muss das folgenschwere Missverständnis geschehen sein, glaubt Grünwald. Dass sie selbst ihr Kind Tage oder Wochen später verwechselt hat, hält die Mutter für ausgeschlossen: „Das weiß wohl jede Frau, die schon einmal ein Kind bekommen hat. Und auch jeder Vater.“

Kein Einzelfall: 1991 kam nach einer Blutuntersuchung bei einem Fünfjährigen im niedersächsischen Wittmund ans Licht, dass er nach der Geburt mit einem anderen Kind verwechselt worden war. Die Elternpaare beschlossen, den jeweils von ihnen großgezogenen Jungen zu adoptieren und keinen Kontakt zu halten. 2008 wurden in einer Klinik in Saarlouis zwei neugeborene Mädchen vertauscht. Nach einem halben Jahr entdeckte man den Irrtum – die Kinder kamen zu ihren leiblichen Eltern.

In Graz ist bis heute unklar, wer das „echte“ Kind von Evelin Grünwald und ihrem Mann ist. Laut Klinik kommen 200 Frauen infrage, die von der Verwechslung betroffen sein könnten. Einige haben sich freiwillig zu einem DNA-Test gemeldet – erfolglos. Auch auf Facebook sucht Doris nach ihrem Gegenpart. Ihre Beziehung zu der Frau, die sie Mama nennt, hat indes nicht gelitten. „Wir werden immer Mutter und Tochter bleiben“, sagt Evelin Grünwald. „Mir hätte nichts Besseres als dieses Kind passieren können.“