In den USA tut sich etwas. Damit ist jetzt nicht der Irrsinn von Donald Trumps Präsidentschaft gemeint. Es ist eher eine Nachwirkung der Barack-Obama-Ära, die auch geprägt war von schweren Rassenunruhen in amerikanischen Städten. Der Auslöser? Junge schwarze Männer waren von US-Polizisten im Zuge eine Verhaftung regelrecht hingerichtet worden. Und jedes Mal kam danach die Frage unter Afroamerikanern auf: Wo stehen wir in der US-Gesellschaft? Sind wir wirklich auf Augenhöhe, oder werden wir doch noch wie Menschen zweiter Klasse behandelt?

Dem Kino merkt man diese Aus­­einandersetzung an. Zunehmend gibt es Filme, die um die eigene schwarze oder schwarz-weiße Identität kreisen. „Hidden Figures“ war solch ein Beispiel, ein Film über schwarze Mathemathikerinnen bei der Nasa in den 1960er-Jahren. Beschränkten sich die Themenfelder, in denen schwarze Schauspieler eine Chance auf Rollen hatten, lange auf Drogen, Gewalt und Sklaverei, rückt nun erstmals ein schwarzer amerikanischer Mittelstand in den Fokus.

Auch bei „Loving“ geht es um eine intakte, sich liebende Kleinfamilie: das Ehepaar Loving – Vater Richard ist Bauarbeiter, Mutter Mildred Hausfrau – und ihre drei Kinder. Man erlebt die Liebes­geschichte von Jugend an – Verliebtheit, ihre Schwangerschaft, sein Heirats­antrag, Hochzeit und Familiengründung. Die alltägliche Geschichte einer großen Liebe zwischen Mann und Frau, würde sie nicht in den späten 50er- und 60er-Jahren in Virginia spielen. Denn Richard ist weiß, und Mildred ist schwarz.

Bald nach ihrer Hochzeit 1958 wird klar, dass im Staat Virginia eine gemischtrassige Ehe nicht anerkannt wird. Es heißt, die beiden hätten gegen den Anstand verstoßen. Der Richter argumentiert sogar, diese Ehe verstoße gegen Gottes Gesetz, gegen die Bibel. Es hat mit der Eigenwilligkeit der US-Justiz zu tun, dass in anderen Bundesstaaten diese Ehe zeitgleich anerkannt wird. Der Richter in Virginia zwingt das Ehepaar Loving also, den Bundesstaat zu verlassen. 25 Jahre lang, so sein Urteil, dürfen sie nicht gemeinsam zurückkehren, geschweige denn im Heimatort leben – und das, obwohl Eltern und Geschwister dort wohnen.

Verzweifelt sucht das Paar in Washington D.C. Schutz und zieht hier die Kinder groß. Mildred hat in der Zwischenzeit Robert Kennedy, den Bruder von John F., angeschrieben, mit der Bitte, ihnen zu helfen. Tatsächlich besorgt er dem Paar einen Anwalt. Es hat viele Jahre gedauert, aber nun wehren sie sich.

Spätestens ab der Hälfte des Films beginnt man zu rätseln, ob dieser Fall wohl auf einer wahren Geschichte beruht. Das Verhalten der örtlichen Sheriffs, die Argumentation der Richter, alles ist so absurd, dass einen bald die Ahnung beschleicht: Das kann sich niemand ausgedacht haben. Solche Geschichten schreibt nur die Realität. Tatsächlich erfährt man erst im Abspann, dass es das Ehepaar Loving und diesen unglaublichen Fall eines gemischtrassigen Paares, das bis vor den obersten Gerichtshof zog, wirklich gegeben hat. Genauso wie den „Life“-Magazin-Fotobericht und die Reportage, die das Paar amerikaweit bekannt machte.

Es ist ein filmisch zurückhaltendes Kino, diese Story ist so stark, es braucht keine große Inszenierung. Die Schauspieler sind sehr gut besetzt, vor allem Joel Edgerton als Richard Loving, ein Mann, der eher wenig Worte macht, aber von unglaublicher Hingabe zu seiner Frau ist, beeindruckt. Aber auch Ruth Negga spielt Mildred, die vermutlich intelligentere und agilere von beiden, gut. Die präzise Besetzung reicht bis in die Nebenrollen.

Am Ende ist es das Bundesgericht, das eine grundlegende, das Land verändernde Entscheidung trifft, die danach für alle Bundesstaaten bindend wird. Aber wie man an den Rassenunruhen sieht – der Weg ist noch nicht zu Ende. Amerika sucht sich immer noch.

Loving “ USA/GB 2016, 124 Minuten, ab 6 Jahren, Regie: Jeff Nichols, Darsteller: Joel Edgerton, Ruth Negga, Michael Shannon, täglich im Abaton (OmU), Koralle-Kino, Passage