Jerusalem.

Wer die heiligste Stätte des Judentums besuchen möchte, sollte nicht unter Platzangst leiden. Durch enge Gassen schieben sich Jerusalemer, Pilger und Touristen Richtung Klagemauer, vorbei an Restaurants, Souvenirläden und Saftständen links wie rechts. Dann geht es durch Gepäckkontrollen, wie am Flughafen werden die Taschen der Besucher gescannt. Noch eine Treppe, dann erst ist er endlich frei, der Weg zur Klagemauer. Rollstuhlfahrer oder Familien mit Kinderwagen sind auf dem Platz davor Ausnahmen – zu beschwerlich ist der Zugang. Das soll sich nun ändern: Israel plant eine Seilbahn von einer alten Bahnstation in West-Jerusalem bis zur Klagemauer. Die Stadt wäre dann zwar um eine Attraktion reicher – das Bauwerk könnte das schwierige Verhältnis zwischen Israelis und Palästinensern aber weiter belasten.

Seit Jahren wird in Jerusalem über dieses Vorhaben gestritten, nun hat die Regierung Israels den ehrgeizigen Bau angekündigt. Das Projekt werde „das Gesicht Jerusalems verändern“ und Besuchern einen einfachen und komfortablen Zugang zur Klagemauer in der Altstadt ermöglichen, sagt Tourismusminister Yariv Levin. Die Bahn soll den jüdisch geprägten Westteil mit dem Ölberg im arabischen Ostteil und dem Rand der Altstadt verbinden. Die Gesamtkosten für das Projekt veranschlagt das Ministerium mit umgerechnet rund 50 Millionen Euro. Israelische Politiker betonen, der Bau hebe die Bedeutung der Klagemauer als Herzstück des jüdischen Glaubens hervor. Die Seilbahn könnte bereits 2021 ihren Betrieb aufnehmen und auf der rund 1,4 Kilometer langen Strecke mit einer Geschwindigkeit von 21 Stundenkilometern verkehren. Geplant sind 40 Wagen für je zehn Passagiere – insgesamt könnte das Verkehrsmittel 130.000 Besucher pro Woche transportieren.

Seitdem die Regierung den Bau während einer Sondersitzung an der Klagemauer am Sonntag angekündigt hat, hagelt es Kritik. „Dies ist alles Teil des politischen Spiels, die volle Kontrolle über die Stadt zu erlangen und jeglichen Hinweis darauf, dass Jerusalem eine besetzte Stadt ist, zu vernichten“, sagt Siad Hamuri, Direktor des Jerusalemer Zentrums für soziale und wirtschaftliche Rechte. Israel wolle mit der Seilbahn den Blick der Besucher stärker auf die jüdischen Seiten der Stadt lenken statt auf die arabisch-muslimischen Orte.

Das Projekt istpolitisch heikel

Viele Palästinenser fühlen sich provoziert: Saeb Erekat etwa, Generalsekretär der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO, spricht von einer klaren Botschaft Israels an die Palästinenser, „dass die systematischen Verstöße gegen ihre Rechte weitergehen werden“. Viele Palästinenser fürchten, mit der Seilbahn werde die zunehmende jüdisch-israelische Prägung der für drei Weltreligionen immens wichtigen Stadt noch verstärkt. Vertreter der Religionsgemeinschaften kritisieren zudem, die massive Säulenkonstruktion, die ein derartiges Bauwerk erfordert, rücke zu dicht an heilige Stätten wie die Al-Aksa-Moschee.

Die steht auf dem Tempelberg, an dessen Westseite sich auch die Klagemauer befindet – ein für Juden, Muslime und Christen gleichermaßen bedeutungsvolles Areal. Israelische Bauprojekte in der Nähe haben in der Vergangenheit immer wieder zu schweren Spannungen mit den Palästinensern geführt. Als etwa Benjamin Netanjahu 1996 während seiner ersten Amtszeit als Ministerpräsident einen Tunnel an der Klagemauer öffnen ließ, kam es zu blutigen Unruhen in den Palästinensergebieten. In genau diesem Tunnel kündigte Netanjahu nun auch den Bau der Seilbahn an.

Israel hat den Ostteil Jerusalems, zu dem auch die Altstadt gehört, während des Sechs-Tage-Krieges 1967 erobert und später annektiert. International wurde die Annexion allerdings nie anerkannt. Die Palästinenser wollen Ost-Jerusalem als Hauptstadt eines unabhängigen Palästinenserstaates. Der endgültige politische Status von Jerusalem soll in Friedensverhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern geklärt werden – seit Jahrzehnten ein kaum zu überbrückender Streitpunkt.

Die israelische Nachrichtenseite „ynet“ bezeichnet die nun geplante Seilbahn als ein „sehr sensibles Projekt – politisch gesehen“. Nach Medienberichten soll sich eine französische Firma bereits vor zwei Jahren wegen zu vieler Bedenken angesichts der politischen Lage aus dem Projekt zurückgezogen haben.