Das amerikanische Drama„Jahrhundertfrauen“ ist ein liebevoll inszenierter und toll gespielter Film über Mutter und Sohn im Feminismus der späten 70er

Vater, Mutter, Kind – die Kleinfamilie hat sich 1979 sichtbar überlebt. Das Sub­urb-Ideal liegt längst frustriert beim Therapeuten auf der Couch, nicht nur Mutti kotzt sich emotional dort aus, auch die Kinder. Und wenn Vati mehr vom Leben will, packt er die Siebensachen und zieht weiter – um eine neue Familie zu gründen. Modern Family.

Zurück bleiben Mutter und Kind. Dorothea (Annette Bening) ist solch eine kettenrauchende Alleinerziehende im Kalifornien der späten 70er-Jahre. Sie zieht ihren Sohn Jamie (Lucas Jade Zumann) auf, der mit seinen 15 Jahren zunehmend aufmüpfig wird. Er fährt mit dem Skateboard umher, testet Grenzen, giert nach neuen Erfahrungen. Und er entdeckt Mädchen.

Dorothea will aus ihm einen guten Mann machen, einen verantwortungsvollen, einen, der zuhört. Der weich ist und doch männlich. Und zunehmend hat sie das Gefühl, dass sie das nicht allein stemmen kann. Also bittet sie um Hilfe.

Die beiden leben nicht allein, sondern vermieten mehrere Zimmer in ihrem großen, alten und renovierungsbedürftigen Haus. Der verkrachte Mechaniker William (Billy Crudup) lebt hier, ein großer Schweiger mit handwerklichem Geschick. Taugt er als Vorbild für Jamie? Nicht wirklich. Dafür ist seine Leidenschaft zu Holzarten zu groß, über die er gern doziert.

„Jahrhundertfrauen“ ist auch ein Film über das Erwachsenwerden

Und dann wäre da noch die junge Künstlerin Abbi (Greta Gerwig), die lautstark Punkrock und die Talking Heads hört und mit den Spätfolgen eines Gebärmutterhalskrebses kämpft. Sie und Jamies Schulfreundin Julie (Elle Fanning), die sich sexuell gerade austobt – allerdings nie mit dem in sie über beide Ohren verknallten Jamie –, werden nun von der Mutter als Lotsen zum Mannwerden ­Jamies beauftragt. „Braucht es dafür nicht einen Mann?“, fragt Julie irritiert. „Finde ich nicht“, antwortet Dorothea sehr entschieden.

„Jahrhundertfrauen“ ist ein Frauenfilm, klar, der Titel vermittelt es ja. Jamie muss sich dank Abbi allerlei feministische Literatur reinziehen – der Sohn tut es mit zunehmender Begeisterung. Aber „Jahrhundertfrauen“ ist in gewisser Weise auch ein Männerfilm: Wie kann ich zum Mann werden, wenn ich von lauter starken Frauen umgeben bin? Was wird von mir erwartet? Was mache ich mit und was nicht? Insofern ist „Jahrhundertfrauen“ auch ein klassischer Coming-of-Age-Film, ein Film über das Erwachsen­werden.

Und er ist hervorragend gespielt. Annette Bening berührt, weil sie so ohne Zögern ihr Alter offen zeigt. Wo andere Schauspielerinnen auf Weichzeichnern bestehen, um ihre Falten zu ebnen, tritt sie fast ungeschminkt auf. Das macht sie zu einer glaubwürdigen Figur. Wie überhaupt jeder im Film von Regisseur Mike Mills liebevoll gezeichnet ist. Ein kleiner Film, der genau hinschaut und die Umbruchzeit der späten 70er erzählt.

„Jahrhundertfrauen“ USA 2016, 118 Min., o. A., R: Mike Mills, D: Annette Bening, Lucas Jade Zumann, Greta Gerwig, Billy Crudup, Elle Fanning, täglich im Abaton (OmU), Blankeneser, Holi, ­Koralle-Kino, Passage und Zeise (OmU);
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