Mit „Beuys“ gelingt ­Regisseur Andres Veiel eine Montage über einen der bekanntesten ­deutschen Künstler

„Wann hat man ihn aus der Anstalt gelassen?“, mokiert sich ein Passant beim Verlassen einer Beuys-Ausstellung. Eine Schwarz-Weiß-Aufnahme aus den 60er-Jahren, eine von vielen, die Regisseur Andres Veiel für seinen Film über einen der bekanntesten deutschen Künstler des 20. Jahrhunderts aus den Archiven ausgegraben hat.

Der Spott belegt natürlich das Gegenteil: Kaum ein Künstler der Bundesrepu­blik wurde so ernst genommen wie Joseph Beuys. Auf die Stoßkraft seiner Popularität angesprochen, antwortet der Künstler in einer anderen Archivaufnahme mit der Gegenfrage, seit wann man denn Popularität in Windstärken messe. Die eigene gibt er mit „orkanartig“ an.

Veiels Film ist eine wahre Fundgrube für Szenen wie diese. Sie rufen ins Gedächtnis, dass Beuys nicht nur mit Fett und Filz umgehen konnte, sondern auch mit Sprache. Zwar dokumentiert Veiel mit sorgfältig montiertem Bild- und Videomaterial auch viele Kunstaktionen von Beuys. Szenen vom Verfertigen wechseln sich ab mit als Kontaktbogen arrangierten Fotodokumenten.

Aber was aus seinem Film sprichwörtlich herausspringt, ist Beuys’ Rolle als streitbarer Diskutant und begabter Sprücheklopfer. Um einen fast zu nahe liegenden Vergleich zu bemühen: Hätte es damals schon Twitter und Facebook gegeben, wäre Beuys’ Social-Media-König geworden. Von „Schmeißen wir meine Werke zum Fenster raus“ bis zu „Das Geld muss raus dem Kreislauf“ erweist er sich als Meister der Polit-Pointe unter 140 ­Zeichen.

Die Frage nach Beuys’ Bedeutung heute befriedigt Veiels Film nicht

Und wie viel Klicks er erst bekommen hätte mit Videos wie dem vom „Boxkampf für direkte Demokratie“ von der Documenta 5, als er gegen einen Studenten in den Ring stieg! Aber wer weiß, vielleicht hätte er sich auch verweigert. In einer Szene fragt jemand nach seiner Haltung zur wachsenden Macht der Informationstechnologie. Beuys, sichtlich nicht wissend, was damit gemeint ist, antwortet mit dem Retro-Spruch, man müsse die „Macht des Staates“ brechen.

So billig es scheinen mag, frühere Realitäten auf heutige Medien herunterzubrechen, steckt in dieser Überlegung doch ein Bedürfnis, das Veiels Film nicht befriedigt: die Frage nach Beuys’ Erbe und Bedeutung heute. Auch wenn bei seinen antikapitalistischen Sprüchen eine gewisse Nostalgie aufkommt, hört sich doch vieles heute fast erschreckend nach populistischer Rhetorik an. Man kann natürlich argumentieren, dass Veiel solche Bewertungen willentlich dem Zuschauer überlässt. Schließlich trägt er in seinem Film die Materialien zusammen, die ein „Urteil“ erst möglich machen. Dass nur wenige Interviews mit Zeitzeugen vorkommen, deutet ganz in diese Richtung.

Veiels Doku verweigert sich dem Biopic-Ansatz, bei dem die Bedeutung des Porträtierten gleichzeitig vorausgesetzt und belegt wird. Stattdessen vollzieht seine Montage eine Entwicklung nach, zeigt die Wendepunkte seiner Karriere auf und konzentriert sich ansonsten ganz auf die Gestalt Beuys. Der war, spätestens als er mit Hut und Armeeweste sein Marke-Outfit gefunden hatte, seine eigene „soziale Plastik“.

„Beuys“ Deutschland 2017, 107 Min., o. A.,
R: Andres Veiel, täglich im Abaton, Koralle, Zeise; http://beuys-der-film.de