Berlin.

Das Foto sollte wohl Reiselust und Dynamik vermitteln, doch es wurde einem 22-jährigen Schotten zum Verhängnis. Mit seinen beiden Freunden versuchte er Ende April, auf einer Autobahn in Schleswig-Holstein ein Selfie zu machen, als er von einem Auto erfasst wurde. Er starb noch vor Ort, seine entsetzten Freunde konnten nichts mehr für ihn tun.

Immer mehr Menschen begeben sich in Gefahr, um sich vor möglichst außergewöhnlichen Hintergründen zu fotografieren. So starb ein 50-jähriger Tourist aus München vergangenes Jahr beim Versuch, ein Foto von sich im peruanischen Machu Picchu zu machen. Laut Medienberichten sprang der 51-Jährige dafür in die Höhe, verlor das Gleichgewicht und stürzte den 100 Meter tiefen Hang hinab. Eine Elfjährige, die 2015 für ein Bild von einer Brücke vier Meter in die Tiefe sprang, überlebte schwer verletzt.

US-Forscher der Carnegie-Mellon-Universität in Pittsburgh haben dem Phänomen in einer Studie den Namen „Killfie“ gegeben, zusammengesetzt aus „kill“ und Selfie. Sie definieren diese Todesfälle als „Tod eines Individuums oder einer Gruppe von Menschen, der hätte vermieden werden können, hätten der- oder diejenigen kein Selfie gemacht“. Die Wissenschaftler untersuchten 127 Todesfälle durch Selfies aus den Jahren 2014 bis 2016. 2016 zählten sie 73 Fälle. Der größte Teil der Opfer – rund 68 Prozent – waren Menschen unter 24 Jahren.

Riskante Fotos gelten als Freundschaftsbeweis

Mittels ihrer Ergebnisse haben die Forscher ein Programm gebaut, das erkennen kann, ob Selfies in gefährlichen Situationen gemacht wurden. Das wollen sie weiterentwickeln zu einer App, die Nutzer warnen kann. Zugunfälle gehören laut der Auswertung der Forscher zu den häufigsten Todesursachen bei Selfie-Unfällen. „Selfies auf Bahngleisen zu machen, ist ein Trend“, so die Wissenschaftler.

So zeigen Bilder zwei Schülerinnen aus Memmingen auf den Schienen, der Kamera den Rücken zugewandt; unter anderem spaziert eins der Mädchen im pinken Top die Trasse entlang. Eines Tages, im Mai 2011, wurden die damals 13- und 16-Jährigen von einem Zug erfasst. Es war der erste bekannte Fall eines tödlichen Selfies in Deutschland.

Er habe sie immer wieder gewarnt, nicht zu den Gleisen zu gehen, erzählte der Großvater eines der Mädchen später tief bewegt einer Zeitung. Genützt habe es nichts. Die Bilder hängten Freunde der Mädchen später am Unfallort auf, umgeben von Grablichtern und Liebesbekundungen. Den Trend zu Selfies auf Gleisen kann Jörg Ackmann, Präventionsbeauftragter der Bundespolizei Sankt Augustin, auch für ganz Deutschland bestätigen. Während es bei Jungen und jungen Männern eher darum gehe, mit Selfies in riskanten Situationen Mut zu beweisen, stehe bei Mädchen und jungen Frauen der Ausdruck von Gefühlen im Vordergrund. „Gerade die Fotos im Gleisbereich sind beliebt als Zeichen einer innigen Freundschaft“, sagt er. „Romantik spielt eine Rolle. Die Schienen symbolisieren zum einen den starken Zusammenhalt der Mädchen, weil sie nie auseinandergehen und endlos scheinen, zum anderen Fernweh.“

Motiviert würden die Mädchen dabei durch soziale Netzwerke, wo Gleichaltrige Bilder posten. Die Fotos auf den Gleisen brächten dabei häufig auch viele Likes ein – dadurch trete ein Belohnungseffekt ein. Die besondere Gefahr: Wer im Gleis steht, hört einen Zug erst drei Sekunden, bevor er da ist.

Beamte der Bundespolizei gehen deshalb nun gezielt in Schulen, um aufzuklären. Sie informieren die Jugendlichen in Beratungsgesprächen und verteilen Flyer, um zum Nachdenken anzuregen. Ackmann hofft auch auf den Einfluss der Bezugsgruppe: „Es wäre prima, wenn andere Mädchen solche Fotos mit Sätzen, die auf die Lebensgefahr hinweisen, kommentieren würden.“ Auf Instagram finden sich viele der Gleis-Selfies. Warnungen, wie gefährlich ein Foto-Shooting dort ist, stehen darunter nicht.