Bad Säckingen.

Ein Bild des Schreckens bot das idyllische Bad Säckingen am Hochrhein nahe der Schweiz an jenem verhängnisvollen Sonnabendmittag am 7. Mai vor einem Jahr. Tatsächlich dachten viele Passanten, die historische Altstadt sei Schauplatz eines Terroranschlags geworden. Sirenen heulten, Hubschrauber knatterten in der Luft, und wo gerade noch Menschen in Straßencafés ihr Mittagessen genossen hatten, drängten sich nun Rettungskräfte, Polizisten und ein Kriseninterventionsteam in Trümmern aus Stühlen, Tischen, Geschirr.

Doch es gab keinen Terroranschlag. Ein damals 84 Jahre alter Rentner hatte in seinem Auto mit Automatikgetriebe Gas und Bremse verwechselt und war in die Fußgängerzone gerast. Eine 63 Jahre alte Frau und ein 60 Jahre alter Mann kamen dabei ums Leben. 27 Menschen wurden verletzt, neun von ihnen schwer.

Am Dienstag nun begann in dem 17.000-Einwohner-Städtchen der Prozess gegen den Unfallfahrer. Die Anklage lautet auf fahrlässige Tötung und Körperverletzung. Im Falle eines Schuldspruchs könnte der Senior bis zu fünf Jahre ins Gefängnis kommen. Zu Beginn der Verhandlung legte der Mann ein Geständnis ab. Der 85-Jährige wurde selbst verletzt bei dem Unfall. Seinen Führerschein musste er direkt abgeben. Durch die Ereignisse sei er schwer mitgenommen, sagte im Vorfeld eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Wochenlang war er in psychiatrischer Behandlung, nachdem er Suizidabsichten geäußert hatte. „Ich hätte den Unfall besser nicht überlebt“, gab er zu Protokoll.

Im Amtsgericht stand der Angeklagte nun Hinterbliebenen und Opfern gegenüber. Zwei Familien sind Nebenkläger. Er könne nur hoffen, dass die Opfer und deren Angehörige ihm verzeihen, ließ er über seinen Anwalt erklären. Eine persönliche Entschuldigung werde folgen. „Im Moment hat mein Mandant dazu nicht die Kraft.“ 50 Jahre sei der Angeklagte unfallfrei gefahren. Er hoffe, „dass mich die Mitmenschen nicht aus der Gesellschaft verstoßen, zu der ich mein Leben lang mit Aufrichtigkeit und Stolz gehört habe“, ließ er erklären.

Freiwilligkeit statt Pflichttests für Senioren

Das Drama hatte bundesweit eine Diskussion um die Gefahr durch Senioren für den Verkehr neu entfacht. In vielen Gemeinden werden Anreize wie kostenlose Bustickets angeboten, wenn Senioren freiwillig ihren Führerschein abgeben, so auch im Landkreis Waldshut, zu dem Bad Säckingen gehört. Zu einem Anstieg bei der Führerscheinabgabe führte der spektakuläre Fall in der Region aber nicht, sagt ein Stadtsprecher. Die Zahlen lägen seit Jahren bei etwa 60 im Jahr. Bundesweit geben an die 10.000 Senioren im Jahr freiwillig ihren Führerschein ab.

Der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltvereins in Berlin reicht das nicht. Der Verband fordert verpflichtende Gesundheitstests für Autofahrer ab dem 75. Lebensjahr, wie es sie in Großbritannien, Dänemark oder der Schweiz bereits für Menschen ab 70 gibt: „Freiwillige Angebote haben bisher wenig Resonanz gefunden“, so ein Sprecher.

Dem widerspricht Hannelore
Herlan von der Deutschen Verkehrswacht. In Niedersachsen, Bayern und in NRW bietet der gemeinnützige Verein Kurse für Senioren an, die sich im Verkehr unsicher fühlen. „Die Nachfrage übersteigt inzwischen das Angebot“, sagt sie. Die Kursteilnehmer fahren dabei mit einem Trainer und zwei weiteren Senioren Auto, anschließend gibt es ein Feedback-Gespräch. „Die Senioren sind eher bereit, Kritik von Gleichaltrigen anzunehmen“, erklärt Herlan. „Von Jüngeren fühlen sie sich oft bevormundet.“ Als Hochrisikogruppe gelten Senioren für den ADAC ohnehin nicht. Bei einem Bevölkerungsanteil von 20 Prozent verursachten Fahrer über 65 nur 13 Prozent der Unfälle mit Personenschaden – Fahranfänger bis 24 Jahre verursachten weit mehr.