Hamburgs afrikanische Partnerstadt Daressalam durchlebt zurzeit einen heftigen Umbruch

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ls sich die Schnellfähre aus Sansibar am frühen Vormittag der Stadt nähert, ist von sonntäglicher Ruhe nichts zu spüren. Während wir die schmale Einfahrt zum Naturhafen zwischen den Stadtteilen Kariakoo im Norden und Kigamboni im Süden passieren und sich die meisten der fast ausschließlich einheimischen Passagiere schon mit Sack und Pack zum Ausgang drängen, sind am Ufer überall Fischerboote zu sehen, die ihren Fang verkaufen. Menschentrauben drängen sich auf dem Fischmarkt, auf dem es laut und geschäftig zugeht. Kein Wunder, denn Sonntag spielt in dem überwiegend muslimischen Land natürlich keine besondere Rolle, in die Moschee geht man schließlich am Freitag. Trotzdem sind es zwei europäisch anmutende Kirchenbauten, die mir schon bei der Einfahrt in die ostafrikanische Metropole auffallen. Sie recken ihre Türme in die Skyline einer Millionenstadt, die auf eine relativ kurze, aber sehr bewegte Geschichte zurückblickt. Einige Hochhäuser sind an der Uferpromenade zu sehen, davor jedoch an der Kivukoni Front auch viele Gebäude, die noch aus der deutschen Kolonialzeit stammen.

Nachdem ich die Fähre verlassen und am Hafenzoll meinen Pass gezeigt habe, halte ich mich auf der Hafenpromenade, die hier Sukoine Drive heißt, rechts und erreiche die katholische St.-Josephs-Kathedrale. Die Plätze ringsum sind mit überwiegend teuren SUV vollgeparkt, die Menschen, die in der gut gefüllten Kirche den englischsprachigen Gottesdienst feiern, sind ausnahmslos festlich herausgeputzt und gehören eindeutig der Oberschicht an.

Die Lutherkirche hat ein Hamburger Architekt erbaut

Unweit entfernt steht an der Kivukoni Front die Lutherkirche, gleichfalls ein deutscher Architektur-Import aus der Kolonialzeit, als das ehemalige Fischerdorf der Kolonie Deutsch-Ostafrika als Hauptstadt und Verwaltungssitz diente. Hier wird der gleichfalls gut besuchte Gottesdienst in Swahili gefeiert. Eine Tafel an der Eingangsfront der „Azania Front Lutheran Church“, deren rote Ziegeldächer einen reizvollen Kontrast zu den weißen Wänden von Kirchenschiff und Turm bilden, weist in Englisch und Swahili darauf hin, dass das Gebäude 1898 bis 1901 in gotischem Stil erbaut wurde. Unerwähnt bleibt der Architekt, der Hamburger Friedrich Gurlitt (1865–1942).

Nur ein paar Meter weiter wird emsig gebaut, wie fast überall in der Stadt entstehen hier Hochhäuser, die die Silhouette immer stärker prägen und die Kirchtürme und auch die Kuppeln der zahlreichen Moscheen weit überragen. Daressalam erlebt einen Bauboom und wird auch sein äußeres Erscheinungsbild rasant verändern. Mit gegenwärtig 4,5 Millionen Einwohnern ist es nicht nur eine der größten Metropolen Ost­afrikas, sondern gehört auch zu den zehn am schnellsten wachsenden Städten der Welt. Das führt vor allem im Zentrum zu einem enormen Verdichtungsprozess, der zumindest teilweise unkoordiniert und planlos zu verlaufen scheint. Offiziell verlor Daressalam zwar schon 1974 seinen Hauptstadt-Status an die im Landesinneren gelegene Stadt Dodoma, doch der Regierungssitz blieb hier, wo sich auch die meisten Ministerien und Botschaften sowie knapp 600 größere Industriebetriebe, die Zentralbank und die Börse befinden. Ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist auch der Hafen, über den nicht nur der Warentransport von und nach Tansania abgewickelt wird, sondern auch nach Malawi, Sambia, Burundi, Ruanda, Uganda und in die Demokratische Republik Kongo.

An der Kivukoni Road hat man mit den beiden Kirchen und den anderen Kolonialbauten einerseits und den in den Himmel wachsenden Hochhäusern andererseits Vergangenheit und Zukunft der ostafrikanischen Metropole zugleich im Blick. Die Menschen, die jetzt am späten Vormittag aus der lutherischen Kirche strömen, sind gut gelaunt und schwatzen miteinander, bevor sie in ihre Autos steigen und davonfahren. Ein freundlicher älterer Herr mit weißen Haaren fragt mich, ob er mir helfen kann. Er führt mich schließlich in die Kirche, die auch innen so aussieht, als würde sie in Hamburg oder Berlin stehen. Er zeigt mir den neugotischen Altar, der aus tropischem Hartholz geschnitzt wurde und in deutscher Sprache die Inschrift trägt: „Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch.“ Er lächelt mich an. „It’s German“, sagt er und erklärt mir, dass sich der Spruch aus dem Johannesevangelium auf den Namen Daressalam bezieht, der auf Swahili „Haus des Friedens“ heißt. Auf meine Frage, ob sich die Einwohner der Stadt für die Bauwerke aus der Kolonialzeit interessieren, meint er, selbstverständlich sei das der Fall, gerade jetzt, wo sich die Stadt so stark verändere.

Schon 1964 hat die tansanische Regierung den Antiquities Act verabschiedet, mit dem zahlreiche Monumente unter Denkmalschutz stehen, was aber den Abriss mehrerer historischer Gebäude nicht verhindert hat. Zuständig im Ministry of Natural Resources & Tourism ist das Antiquities Department, dessen Mitarbeiter aber oft die Hände gebunden sind. Im Juli 2016 kamen zwei Denkmalschützer aus der tansanischen Metropole zum Erfahrungsaustausch nach Hamburg, im Rahmen einer Projektpartnerschaft, die vom „Freundeskreis Dar es Salaam – Hamburg e. V.“ gefördert wird. Von der Kirche gelange ich über die Samora Avenue zum Botanischen Garten, einer grünen Lunge innerhalb der lauten und staubigen Metropole. Gegründet wurde diese wunderbare Anlage 1893 von dem Hamburger Zoologen und Afrikaforscher Franz Stuhlmann (1863–1928). Nicht weit entfernt befindet sich das Nationalmuseum. Die 1934 gegründete Institution an der Shabban Robert Street besteht aus einem historischen und einem modernen Gebäudekomplex mit einer natur- und kulturgeschichtlichen Sammlung, die nicht besonders systematisch präsentiert wird. Interessant ist eine Abteilung mit historischen Fotografien und Dokumenten zur Kolonialzeit. Gut dokumentiert sind auch der Übergang zur Unabhängigkeit und die Rolle von Julius Nyerere (1922–1999), dem ersten Präsidenten des Landes, der als „Vater der Nation“ verehrt wird.

Ein Denkmal erinnert an den Terroranschlag von 1998

Im Außenbereich ist der Wagenpark des Präsidenten zu sehen, von einem Rolls-Royce, den die britische Regierung 1965 Nyerere geschenkt hat, bis zum letzten Fahrzeug, das der Politiker in seiner Heimat zu Lebzeiten benutzt hat. Es ist ein Mercedes E300, in dem der an Leukämie erkrankte Nyerere 1999 zum Flughafen fuhr, von wo aus er zur medizinischen Behandlung nach London flog. Am 14. Oktober 1999 starb er dort.

Eindrucksvoller als diese „Reliquien“ eines bedeutenden Politikers ist ein Denkmal ganz anderer Art, das man gleich nebenan sehen kann. Aus Metalltrümmern, einer zerbrochenen Glasscheibe, einem verbogenen Motorrad sowie einer stelenhaften Skulptur hat die schwedische Künstlerin Clara Sornas ein Denkmal geschaffen, das an ein Trauma erinnert: Am 7. August 1998 waren zeitgleich in Daressalam und in der kenianischen Hauptstadt Nairobi Autobomben vor den Botschaften der USA gezündet worden. Insgesamt verloren dabei 224 Menschen ihr Leben, hier waren es zwölf Todesopfer, deren Namen auf einer Gedenktafel vermerkt sind. Auf dem Weg durch die Innenstadt begegne ich kurz darauf noch zwischen der Azikiwe Street und der Maktaba Street einem weiteren Denkmal, das auf andere Weise martialisch wirkt. Auf einer Verkehrsinsel steht hier das Askari-Monument, das die Briten 1927 errichtet haben. Es zeigt einen afrikanischen Soldaten in britischer Kolonialuniform, der mit einem Gewehr vorwärtsstürmt. Auf dem Sockel sind Bronzereliefs zu sehen, die Askari, wie die einheimischen Kolonialsoldaten genannt wurden, im Kampf zeigen. „Wenn du für dein Land bis in den Tod kämpfst, werden deine Söhne sich deines Namens erinnern“, steht in englischer Sprache auf einer Tafel dieses Monuments, das die britische Kolonialzeit verherrlicht, aber von den Passanten kaum zur Kenntnis genommen wird.

Zuvor stand an dieser Stelle übrigens ab 1909 ein anderes, nicht weniger fragwürdiges Denkmal. Es zeigte einen Weißen mit Tropenhelm in der Pose des Herrenmenschen. Dargestellt war auf einem 2,20 Meter hohen Sandsteinsockel der deutsche Kolonialgouverneur Hermann von Wissmann, zu dem die Figur eines Askari aufblickte. Nachdem die Briten das Denkmal demontiert hatten, schafften sie es nach London, wo es im Imperial War Museum als Kriegstrophäe zur Schau gestellt wurde. Um diese „Schmach“ zu beenden, erreichte das Auswärtige Amt 1921 die Rückführung nach Deutschland. Obwohl die Darstellung schon damals sehr umstritten war, wurde das Wissmann-Denkmal im November 1922 auf einem neuen Sockel in Hamburg aufgestellt, und zwar neben dem Kuppelbau der 1919 gegründeten Universität, die aus dem Hamburger Kolonialinstitut hervorgegangen war. Erst im Zuge von Studentenprotesten stürzte man Wissmann 1968 endgültig vom Sockel, die Figur kam in den Keller der Sternwarte Bergedorf.

Zurzeit sind die Reste des Standbilds, an das sich in Daressalam zu Recht kaum noch jemand erinnern wird, übrigens in der Ausstellung zum „Deutschen Kolonialismus“ in Deutschen Historischen Museum Berlin zu sehen. Bis zum 14. Mai ist sie noch geöffnet.