Johannes Caspar über unsichtbare Gefahren im Netz

Johannes Caspar hat als Datenschutzbeauftragter der Stadt Hamburg viel zu tun. Auch er zählt zu den Mitinitiatoren der Digitalcharta der „Zeit“-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius. Ein Gespräch.

Hamburger Abendblatt: Was beschäftigt Sie als Datenschutzbeauftragten der Stadt Hamburg aktuell?

Caspar: Hamburg hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt, was die Digitalisierung des gesamten städtischen Lebensraumes anbelangt. Diese Ziele können nur in Übereinstimmung mit dem geltenden Recht erreicht werden, und dazu gehören auch die Anforderungen des Datenschutzes. Ab Ende Mai 2018 gilt die neue EU-Datenschutzgrundverordnung. Durch Datenschutzsiegel, die dem Nutzer zeigen, welche Hersteller dem Datenschutz und der Datensicherheit einen hohen Stellenwert einräumen, wird ein Wettbewerb entstehen, der künftig gerade die datenschutzfreundlichen Anbieter am Markt stärkt. Das geschieht aber nicht von selbst. Auf dem EU-Digitalmarkt werden sich künftig nur datenschutzgerechte IT-Produkte oder Verfahren durchsetzen. Deutschland und gerade auch Hamburg als IT-Standort kann hierbei eine wichtige Rolle spielen.

Wie gefährdet sind die Hamburger durch Überwachung?

Caspar: Hamburger geraten als Bewohner einer Metropole im öffentlichen Raum naturgemäß stärker in den Fokus gerade der optisch-elektronischen Überwachung als Menschen, die eher in ländlichen Bereichen wohnen. Die automatisierte Fahndung durch Gesichtserkennung wie auch das automatisierte Ablesen von inneren Gemütszuständen, das sogenannte Emotional Decoding, werden unser Verständnis der Privatheit im öffentlichen Raum massiv verändern. Hier ist eine Entwicklung im Gange, die sich nur im rechtsstaatlichen Rahmen vollziehen darf.

Wie groß ist der Datenhunger von Internetfirmen wie Google, Facebook und WhatsApp?

Caspar: Der Datenhunger solcher Unternehmen ist unbegrenzt, und zwar im wörtlichen Sinn. Für die datengetriebenen Geschäftsmodelle von Mes­sengern, sozialen Netzwerken, Assistenzsystemen und Ähnliches gibt es keine belanglosen Informationen. Alles kann helfen, Konsumpräferenzen zu erschließen, um Werbeanzeigen oder eigene Produkte zielgerichtet zu verkaufen. Den Aufsichtsbehörden kommt die entscheidende Aufgabe zu, die Einhaltung dieser Gesetze sicherzustellen. Google etwa will die Nutzungsdaten sämtlicher Dienste von der Suchmaschine bis zu YouTube zu Megaprofilen zusammenbündeln. Hier haben wir entsprechende Einwilligungen und Einstellmöglichkeiten eingefordert, die Google mittlerweile auch implementiert hat. Allerdings ist nach wie vor unklar, ob Daten tatsächlich nicht länger gespeichert werden, wenn der Nutzer widerspricht.

Wie kann sich der Bürger davor schützen?

Caspar: Internetnutzerinnen und -nutzer sollten sich gut überlegen, welche Dienste sie nutzen und welche sie aus Datenschutzgründen ablehnen. Für viele Funktionen sind Alternativen verfügbar. Jeder Komfortgewinn ist mit dem Verlust von Datensouveränität verbunden. Wer sich von Datendienstleistern umsorgen lassen will, muss sich dauerhaft durchleuchten lassen. Die Vorschläge für Musik, die man mag, setzen zuvor den Einsatz der eigenen Daten voraus.

Wie erfährt der Bürger überhaupt, welche Daten eine Auskunftei gespeichert hat?

Caspar: Der Bürger hat gegenüber jeder Auskunftei kostenlos und auch ohne konkreten Anlass einen umfassenden Anspruch auf Bekanntgabe der zu seiner Person gespeicherten Daten, einschließlich der Herkunft und Empfänger. Viele Bürger wissen nicht, dass ihre Daten bei Auskunfteien gespeichert werden können. Mit Wirksamwerden der Datenschutzgrundverordnung im Mai 2018 werden diese Auskunftsrechte der Betroffenen und die Informationspflichten der Auskunfteien noch erweitert.

Warum brauchen wir eine Digitalcharta?

Caspar: In einer Zeit der massiven und radikalen digitalen Umbrüche brauchen wir einen starken rechtlichen Schutz der Privatsphäre. Die EU-Datenschutzgrundverordnung ist hierbei ein wichtiger Meilenstein, aber die Digitalcharta geht noch weiter. Der Wandel erfasst die gesamte soziale und wirtschaftliche Realität und letztlich auch das Recht selbst. Das verstärkt die Rolle staatlicher Systeme als Garanten für den Schutz der Grundrechte von Bürgerinnen und Bürgern gegen eine hemmungslose Kapitalisierung ihrer Privatsphäre durch globale Konzerne. Gleichzeitig bleibt auch die öffentliche Gewalt selbst unmittelbarer Adressat der Grundrechte, die gegenüber staatlichen Kontroll- und Überwachungszwängen immer bedeutsamer werden. Die digitale Grundrechtecharta versucht, zentrale rechtliche Grundprinzipien in einer Welt, in der wir auch in Zukunft in Würde leben wollen, teilweise neu zu formulieren. Sie enthält ein Angebot an alle, sich für einen selbstbestimmten Wandel einzusetzen, der nicht durch die technisch-ökonomischen Entwicklungen, sondern durch die autonome rechtliche Rahmensetzung gesteuert wird.