Die Juristin und Autorin Juli Zeh hat als eine der Initiatorinnen den Text der Digitalcharta mit entwickelt. Das Thema Digitalisierung, so sagt sie, geht uns alle an

Eine der Mitinitiatorinnen der Digitalcharta ist die in Brandenburg lebende Juristin und Schriftstellerin Juli Zeh. Ihre Romane, zuletzt „Unterleuten“, wurden vielfach ausgezeichnet. Häufig beschäftigen sie darin Fragen zu moralischen Normen. Parallel zu ihrer schriftstellerischen Arbeit hat sich die Völkerrechtlerin schon immer politisch-gesellschaftlich engagiert. „Die technische Entwicklung im Bereich ,Digitalität‘ ist nicht nur rasant, sondern steht auch im Begriff, erheblichen Einfluss auf Politik, Privatleben, Wirtschaft und Arbeitswelt zu nehmen“, sagt Juli Zeh und vergleicht die digitale sogar mit der industriellen Revolution.

„Bislang ist es uns nicht gelungen, die großen gesellschaftlichen Änderungen politisch zu gestalten, obwohl bereits klar ist, dass in vielen Bereichen Grundrechte der Bürger gefährdet werden. Auch werden ethische Fragen aufgeworfen, die nicht der Einzelne entscheiden kann. Ein öffentlicher Diskurs in Gesellschaft und Politik ist dringend erforderlich. Dafür soll die Charta ein Anstoß sein.“

Für Juli Zeh ist die Digitalcharta eine Herzensangelegenheit

Schnell war Juli Zeh von der Zusammensetzung der Initiatorengruppe und dem Engagement der „Zeit“-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius überzeugt. Für sie ist es seither ein „Leib-und-Seele-Projekt“. Als studierte Juristin weiß sie um die Notwendigkeit einer gesetzlichen Gestaltung. „Viel schwieriger sind Fragen nach der Umsetzbarkeit. Dabei ist das größte Problem nicht einmal die Internationalität der digitalen Sphäre, auch wenn oft auf die Durchsetzungsprobleme von rechtlichen Normen im digitalen Bereich verwiesen wird. Viel schwieriger ist es, den nötigen politischen Willen für eine Regulierung zu wecken.“ An Einsicht in die Notwendigkeit mangelt es nicht, allein die Komplexität der Materie wirkt auf viele abschreckend.

„ Aus meiner Sicht sind drei Themengebiete am wichtigsten: die Sicherung von individuellen Freiheitsrechten im digitalen Zeitalter, also vor allem der Schutz vor Profiling und Überwachung“, sagt Juli Zeh. „Als Nächstes die Regulierung des Einsatzes von ,smarten‘ Gegenständen, also Geräten, die Daten sammeln und auswerten und mithilfe von Algorithmen selbst Entscheidungen treffen, egal ob Staubsauger, Kaffeemaschine oder selbstfahrendes Auto – für alle diese Fälle ist eine Art Digital-TÜV erforderlich, der die Produkte auf Datensicherheit und Übereinstimmung mit Datenschutzgesetzen prüft. Das dritte wichtige Themengebiet ist die sogenannten ,Drittwirkung‘. also eine Regelung, die dafür sorgt, dass sich nicht nur Staaten, sondern auch große Wirtschaftskonzerne an die Grundrechte der Bürger halten müssen.“ Genau in dieser Herstellung von Verbindlichkeit liegt das größte Problem. Die Notwendigkeit ergibt sich für Zeh schon dadurch, dass sie alle Menschen gleichermaßen betrifft. „Es reicht, das Haus zu verlassen oder ein Telefon in die Hand zu nehmen, um Teil des großen Datenstroms zu werden.“ Nun wünscht sich die Autorin einen Prozess vergleichbar der Entwicklung der Grundrechtecharta der EU.

Man müsste also zunächst einen Konvent einsetzen, der noch kein Gesetz darstellen würde, aber die Prinzipien und Rechte bereits deutlich formuliert. „Dann können sich in Zukunft die europäischen und nationalen Gerichte bei ihren Entscheidungen immer wieder auf die Digitalcharta beziehen und die dort verankerten Zielsetzungen berücksichtigen“, so Juli Zeh. „Und vielleicht wird die Digitalcharta eines Tages Bestandteil der verbindlichen EU-Verträge, so wie es mit der Grundrechtecharta auch passiert ist.“

Die Schriftstellerin sieht in den digitalen Medien auch großen Nutzen

Als Schriftstellerin nutzt Juli Zeh die Vorteile des Internets, zum Beispiel für die Recherche. „Auch stelle ich in meinen Romanen immer wieder Zeitgeistprobleme dar, sodass die Frage, wie die Digitalität unsere Mentalität verändert, auch ein literarisches Thema für mich ist.“ Nun gelte es, den Text der Charta weiterzuentwickeln und bei diesem Prozess möglichst viele Experten und Interessierte einzubinden. „Zu diesem Zweck haben wir mehrere Arbeitsgruppen eingesetzt, die Kritik und Vorschläge aus der Öffentlichkeit bei der Überarbeitung der Charta berücksichtigen.“ Über weitere Arbeitstreffen und die öffentliche Debatte zum Beispiel auf der re:publica wollen die Initiatorinnen und Initiatoren ein Dokument erreichen, das einen tragfähigen Kompromiss darstellt. „Dann wird der nächste Schritt darin bestehen, die Politik für das Papier zu begeistern.“ Dieser dürfte der schwierigste werden. Für Juli Zeh jedoch kein Grund, ihn nicht anzugehen.