Berlin.

Daniel Shenton hat eine Mission. Er will einen der größten Irrtümer der Menschheit aufklären: Denn in Wahrheit ist die Erde eine Scheibe, mit dem Nordpol als Zentrum. Fotos aus dem Weltall, die unseren Planeten als Kugel zeigen – für ihn eine Erfindung der US-Weltraumbehörde Nasa. Shenton ist Präsident der „Flat Earth Society“, in der die Flach-Erdler über „alternative Wissenschaft“ diskutieren. Dass die Erde eine Kugel ist, ignorieren sie.

Wissenschaftliche Fakten werden immer häufiger Gegenstand hitziger Debatten. Das Wissenschaftsbarometer 2016 – eine von der Organisation Wissenschaft im Dialog (WiD) erhobene Umfrage – zeigt, dass das Vertrauen der Deutschen in die Forschung teilweise sehr niedrig ist. Knapp 30 Prozent trauen den Aussagen von Forschern zum Klimawandel nicht, weitere 30 Prozent sind sich nicht sicher. Und jeder dritte Bürger denkt, wir sollten mehr unseren Gefühlen und unserem Glauben trauen und nicht zu sehr der Wissenschaft.

Der Psychologe Rainer Bromme von der Universität Münster sieht die Wissenschaft in Deutschland aber nicht in einer generellen Vertrauenskrise. „Umfragen zeigen, dass das allgemeine Vertrauen in Wissenschaft eher hoch ist. Fragt man aber im Zusammenhang mit speziellen Themen, wie zum Beispiel der Gentechnik, dann sinken die Vertrauenswerte.“

Kluft zwischen Forschern und Bevölkerung wird größer

Beispiel Impfungen: Viele Eltern lassen ihre Kinder nicht impfen, weil sie glauben, dass dadurch Autismus entstehen kann – was wissenschaftlich eindeutig widerlegt ist. Ein Drittel der US-Bürger leugnet den anthropogenen Klimawandel, obwohl eine Metastudie 2013 ergab, dass 97 Prozent der von Klimaexperten verfassten wissenschaftlichen Studien darin übereinstimmen, dass die globale Erwärmung menschengemacht ist.

Lange erklärten Experten die Skepsis gegenüber wissenschaftlichen Fakten damit, Wissenschaft sei schlicht zu kompliziert für Laien. Doch auch viele Menschen mit wissenschaftlicher Ausbildung sind misstrauisch. Der Psychologe Matthew Hornsey von der australischen University of Queensland hat die psychologischen Mechanismen hinter dieser Skepsis identifiziert. Mit seiner Kollegin Kelly Fielding präsentierte er seine Erkenntnisse auf der Jahrestagung der amerikanischen Gesellschaft für Persönlichkeits- und Sozialpsychologie.

„Die Kluft zwischen wissenschaftlichem Konsens und den persönlichen Meinungen der Bevölkerung wird immer größer“, sagt Hornsey. „Das liegt unter anderem daran, dass Menschen sich wie Rosinen nur die Infos herauspicken, die zu ihrer eigenen Meinung passen.“ Dahinter steckt eine Denkverzerrung, der fast alle Menschen regelmäßig verfallen: der sogenannte Bestätigungsfehler (Confirmation Bias).

Wir neigen dazu, jene Informationen auszuwählen, die unsere Erwartungen und unser Selbstbild bestätigen. Für Informationen, die nicht in unser Weltbild passen, sind wir nahezu blind. Manche Menschen leugnen den Klimawandel, weil die Tatsache, dass die Erde sich durch das Handeln des Menschen erwärmt, nicht zu ihrem persönlichen Interesse passt. So zweifeln Menschen, die in der Ölbranche arbeiten, den Klimawandel eher an – schließlich würde restriktive Klimapolitik dieser Industrie schaden. Anstatt die Erderwärmung anzuerkennen, ist es für sie einfacher, nach Hinweisen dafür zu suchen, dass es keinen Klimawandel gibt.

Zudem betont Hornsey, dass Menschen tendenziell eher Informationen suchen, die der Überzeugung ihrer sozialen Gruppe entsprechen – denn sie wollen schließlich dazugehören. Ein Experiment von Geoffrey Cohen von der kalifornischen Universität Stanford belegt diesen Effekt. Er präsentierte Demokraten und Republikanern verschiedene sozialpolitische Strategien. Er sagte, dass die Ideen von Demokraten stammten oder aber von Republikanern. Die Teilnehmer sahen die Sozialpolitik eher dann als fair an, wenn sie dachten, dass die Ideen von ihrer eigenen Partei stammten.

Hinter Faktenresistenz vermutet Hornsey einen ähnlichen Mechanismus: Wenn die eigene Gruppe den Klimawandel für eine Erfindung hält, dann passt man sich dieser Meinung wahrscheinlich an. Dafür spricht die Tatsache, dass in den USA eher Republikaner den Klimawandel leugnen.

Und weil Menschen lieber hören, was zu ihrer Überzeugung oder zu der ihrer Gruppe passt, denkt Hornsey, dass es nicht ausreicht, nur wissenschaftliche Erkenntnisse zu präsentieren – mögen sie noch so einfach dargestellt sein. Stattdessen müsse man Botschaften speziell an die zugrundeliegende Motivation der Skeptiker anpassen.

Ein Experiment von Hornsey zeigt, dass man Klimawandel-Leugner eher überzeugen kann, wenn man ihnen etwa erklärt, dass klimafreundliches Wirtschaften Jobs im grünen Energiesektor schaffen könnte. Und patriotische Skeptiker ändern ihre Meinung eher, wenn man ihnen vermittelt, dass der Kampf gegen die Erderwärmung die nationale Sicherheit fördert. Man muss die Nachricht also auf jene Menschen zurechtschneidern, die man für die Fakten empfänglich machen möchte.

So ähnlich macht das auch Bromme, wenn er Skeptikern entgegentritt. „Man muss die Leute ernst nehmen und die Überzeugungen suchen, die der Forschungsskepsis zugrunde liegen.“ Aber das heiße nicht, dass man diese Überzeugungen nicht kritisieren dürfte. „Problematisch sind außerdem Kampagnen, die gezielt Falschinformationen streuen, um die Öffentlichkeit zu täuschen“, so der Psychologe. Sein Kollege Sander van der Linden von der englischen Universität Cambridge pflichtet bei: „Falschinformationen sind zäh, sie verbreiten und replizieren sich wie ein Virus.“ Deswegen hat er mit Kollegen eine Art Impfung gegen „alternative Fakten“ zum Klimawandel entwickelt.

„Impfung“ gegen gezielt verbreiteten Unsinn

Zuerst identifizierten die Forscher bei einer Befragung von 1000 Menschen gängige Falschinformationen, die in den USA zum Klimawandel kursieren. Am populärsten ist die Behauptung, Wissenschaftler seien sich insgesamt nicht einig, ob es den menschgemachten Klimawandel gibt. Gestützt wird dies auch von einer Online-Petition, die scheinbar über 31.000 US-Forscher unterstützen. Ihre Unterschriften sind jedoch größtenteils falsch – neben dem 1882 verstorbenen Charles Darwin haben auch die Spice Girls und Charaktere aus Star Wars unterschrieben. Im Gegensatz zur Botschaft der Petition sind sich tatsächlich 97 Prozent der Klimawissenschaftler einig, dass der menschgemachte Klimawandel existiert.

Van der Linden testete dann an 2000 Menschen eine „Impfung“ gegen gezielt verbreiteten Unsinn. Zuerst gaben die Teilnehmer an, wie stark sie glaubten, dass unter Wissenschaftlern zum Klimawandel Konsens herrscht. Dann bekam ein Teil von ihnen die Information, dass 97 Prozent der Wissenschaftler sich einig sind, dass die Erde sich erwärmt. Ein anderer Teil bekam die Petition mit den erfundenen Unterschriften gezeigt. Anschließend sollten sie erneut den Konsens von Wissenschaftlern einschätzen. Die Probanden ließen sich von beiden Informationen beeinflussen.

Dann testete van der Linden seine Strategie: Zuerst sahen die Teilnehmer ein Diagramm, das die Einigkeit der Forscher zeigte. Dann bekamen sie die „Impfung“: Ihnen wurde gesagt, dass politisch motivierte Gruppen versuchten, der Bevölkerung weiszumachen, dass sich Forscher beim Klimawandel uneinig sind. Außerdem erfuhren sie, dass auf einer bekannten Petition die Spice Girls und Charles Darwin unterschrieben hatten. Dann bekamen sie besagte Unterschriftenliste.

Ergebnis: Nach der „Impfung“ ließen sich die Probanden kaum von den Falschinformationen beeinflussen. Zu Beginn des Experiments schätzten sie im Schnitt, dass sich Wissenschaftler zu circa 70 Prozent einig sind über den Klimawandel. Bei denen, denen nur die Petition gezeigt wurde, fiel der Wert auf 63 Prozent. Aber bei jenen Freiwilligen, die die „Impfung“ parallel zur Falschinformation erhalten hatten, näherte sich der Wert dem tatsächlichen Konsens - sie glaubten im Mittel, Wissenschaftler seien sich zu 84 Prozent einig. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass man Leute effektiv gegen einflussreiche Falschinformation impfen kann“, sagt van der Linden. „Wichtig ist es, genau zu erläutern, dass Falschinformationen gezielt gestreut werden und Beispiele dafür zu nennen.“