8./9. April: Hamburger Kritiken
„Wo, bitte, ist denn hier die Mitte?
Das politische Spektrum ist nach links
verschoben“

Herr Iken beschreibt in seinem Kommentar eine Entfremdung zwischen dem (Klein-)Bürger und der Politik. Dabei sieht er einmal das Thema „soziale Gerechtigkeit“ auf der Seite der abgehobenen Politik, die Themen „Zukunftsangst, Angst vor der multikulturellen Gesellschaft“ aufseiten der „hart arbeitenden Bevölkerung“. An anderer Stelle nennt er das Profitieren von der Globalisierung aufseiten der Eliten, die Angst vor der Globalisierung aufseiten der regierten Bürger. Dies alles sei als ein Verschieben des politischen Spektrums nach links zu sehen, in dem sich viele Bürger nun nicht mehr in der Mitte wiederfänden.

Nun hat sich die Welt seit den Anfängen der Politik weitergedreht. Eine Einteilung in rechts und links, die alte Lagervorstellungen hinüberretten will, kann heute nicht mehr funktionieren. Wenn der Armutsbericht der Bundesregierung feststellt, dass die unteren 40 (!) Prozent der Bevölkerung in Deutschland vom realen Einkommen her schlechter gestellt sind als vor 20 Jahren, dann betrifft diese Schlechterstellung zu einem großen Teil die Bürger, die Herr Iken als potenziell „rechts der heutigen Mitte“ an den Rand gedrängt sieht. Dass sich die politische Elite mit der Frage der „sozialen Gerechtigkeit“ befasst, ist demnach sehr im Sinne dieser vermeintlich rechts liegen gelassenen Bürger. Deren Zukunfts- und (teilweise) Fremdenangst resultiert genau aus der Angst, dass der eigene Status durch Globalisierung und Zuwanderung noch weiter abrutscht. Eine zukunftsweisende Politik, die die Verbesserung der Lebensverhältnisse der ärmeren Bevölkerungsteile, und so eben auch der „angry white men“, zum Ziel hat, muss gleichzeitig die zunehmende Vernetzung und Globalisierung im Blick haben und nach Lösungen für die Migration im Sinne der Bevölkerung und der Migranten suchen. Dort wäre dann auch die gesuchte Mitte zu finden. Diese lässt sich aber eben nicht mehr mit „in der Mitte von traditionellem links und rechts“ beschreiben.

Dass sowohl Politik als auch Wähler diesen Denkmustern noch verhaftet sind, behindert eher das Finden von Lösungsmöglichkeiten, als dass es dies voranbringt.

Nicht verständlich ist mir persönlich auch, was an einer „gedruckten Kirchentagspredigt“ in einer Boulevardzeitung so schlecht sein soll. Auf dem Land war früher gerade die Kirche eine Institution, die den Menschen einmal pro Woche ins Gewissen geredet und von Moral und Nächstenliebe gepredigt hat. Vielleicht fehlt es heute ja auch gerade an einer regelmäßigen „Moralpredigt“ zu Mäßigung und Rücksichtnahme – in allen Teilen der Bevölkerung.

Kathrin Bröcking, per E-Mail