Nicolas Stemanns „Faust I + II“-Marathon spielt Ostermontag im Thalia Theater

Berühmte Inszenierungen von Johann Wolfgang Goethes Klassiker „Faust“ gibt es ja inzwischen einige. Von Gustaf Gründgens’ legendärem und später­ verfilmten Auftritt 1957 im Deutschen Schauspielhaus, in der er in eigener Regie seine Lieblingsrolle als Mephisto übernahm­, bis zum wortgetreuen „Faust“-Projekt des legendären Theatermachers Peter Stein anlässlich der Expo 2000 in Hannover, bei der der erste Teil acht, der zweite 14 Stunden dauerte.

Dagegen wirkt Nicolas Stemanns „Faust I+II“-Marathon mit acht Stunden vergleichsweise schmal. Auch seine Inszenierung, die 2011 am Thalia Theater herauskam, ist längst legendär. Sollte es Hamburger geben, die sie noch nicht kennen, ist der Besuch am Ostermontag Pflicht. Die Aufführung, geadelt mit vielen Preisen, tourte weltweit vom Festival d’Avignon bis nach Tokio.

Nicolas Stemann, bekannt dafür, klassische Stoffe gekonnt in eine heutige Theatersprache zu überführen, lässt den Text nicht vom Blatt spielen. 200 Rollen hat er auf eine Handvoll Schauspieler verteilt. Die erste Stunde bestreitet Sebastian Rudolph – er wurde dank der Rolle „Schauspieler des Jahres 2012“ – als Sinn suchender Gelehrter Faust allein auf der Bühne. Ein Mann mit dem Reclam-Heft in der Hand. Zugleich ist Rudolph Goethe in seiner Zueignung, Erzengel, Gott und der Mephisto des Prologs, sein Famulus Wagner, sogar der teuflische Kern, der im Pudel steckt. Virtuos bewältigt Rudolph diese Vielstimmigkeit und zeichnet gleichzeitig ein scharfes Bild des Gelehrten mit den zwei Seelen in seiner Brust. Später wird er unter den Einflüsterungen seines teuflischen Gegenspielers Mephisto alle Humanität vergessen und einem radikalen Individualismus frönen.

Faust verliert seine Ideale zugunsten von Allmachtsfantasien

Mephisto ist bei Philipp Hochmair ein diabolischer Verführer. Er wird Fausts Skrupel zerstreuen und ihn dann zur maximalen Selbstverwirklichung in die Welt hinauslocken. Auf der Strecke bleibt Fausts Liebe zur unschuldigen Margarete. Bei Patrycia Ziolkowska ist sie alles andere als ein naives, ausgeliefertes Mädchen. Sie liebt mit aller Macht und Stärke, gleichwohl fällt sie, schwanger, entehrt und verlassen, am Verlust Fausts dem Wahnsinn anheim.

So ökonomisch und sparsam die Szenerie im ersten Teil, so extrem gerät der Bruch in „Faust II“. Das schwer zu fassende, szenisch und gedanklich ausufernde Werk bändigt Stemann mit maximaler Freiheit, mit Puppenspiel und Aktionismus. Alles Konkrete löst sich auf. Es werden nurmehr einzelne Schlaglichter gesetzt, etwa die Geschichte des Homunkulus, sehr anrührend gespielt von Birte Schnöink, oder die des Sohnes von Faust und der schönen Helena, Euphorion, hier der Tänzer Franz Rogowski.

Die Inszenierung sucht ihresgleichen im Spielplan und wird nur noch selten aufgeführt. Das muss man gesehen haben.

„Faust I + II“ Mo 17.4., 15.30, Thalia Theater
(U/S Jungfernstieg), Alstertor Karten zu 19,- bis 94,- unter T. 32 81 44 44; www.thalia-theater.de