Unabhängige Gutachter prüfen alten Schmuck. Aus manchem Stück entsteht Neues, anderes wird verkauft

Ein dunkelrotes Samttuch bedeckt ein Holztablett, das Thomas Becker vorsichtig aus dem Tresor nimmt und auf einem Tisch abstellt. Auf dem Tablett stehen zwei kleine, durchsichtige Schalen mit Ketten, Ringen und Armbändern aus reinem Gold und Edelsteinen. Daneben liegen, in drei Tüten sorgfältig sortiert, Ketten, Anhänger und Armbänder und, noch unverpackt, Schmuckstücke unterschiedlicher Qualität. Darunter sind zwei sehr alte goldene Anhänger. „Mit diesem Schatz kam vergangene Woche ein junger Mann zu mir. Er hatte ihn von seiner Mutter geerbt und wollte ihn nicht einfach nur liegen lassen“, erzählt der Goldschmiedemeister. Kein Einzelfall.

Immer häufiger suchen jüngere, aber auch ältere Menschen Goldschmiede auf, damit Schmuckstücke geschätzt, repariert, umgearbeitet oder eingeschmolzen und neu geschmiedet werden. Oder sie kommen, um die Stücke, die ihnen nicht gefallen, in Zahlung für neuen Schmuck zu geben oder zu verkaufen. „Meist bedarf es längerer Gespräche, bis wir gemeinsam herausgefunden haben, welchen Wert die einzelnen Schmuckstücke für diesen Menschen haben und was daraus werden soll. Mit jedem Stück sind Gefühle und Erinnerungen verbunden, an einen anderen Menschen, an das eigene Leben. Deshalb können preiswertere Stücke für einen Menschen ganz wichtig sein und teure völlig unwichtig“, weiß Thomas Becker. Gerade heute hat er das letzte Schmuckstück, das er aus altem Gold angefertigt hat, an eine Kundin ausgeliefert, die vor gut zwei Jahren das erste Mal bei ihm war.

Gutachten werden nach Zeitaufwand abgerechnet

Bei dem Schatz des jungen Mannes wird es nicht solange dauern. „Hier“, zeigt Thomas Becker auf eine der Tüten, „wollte der Kunde wissen, was das für Schmuck ist. Bei den Stücken wollte er wissen, wie viel er wert ist. Einiges wird er behalten, den Rest möchte er mir verkaufen.“ Da Thomas Becker öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für das Gold- und Silberschmiedehandwerk der Handwerkskammer Hamburg ist, darf er die Stücke, für die er ein Wert- oder Echtheitsgutachten erstellt, nicht ankaufen, reinigen, reparieren, umarbeiten oder neugestalten. „So wird jeder Anreiz vermieden, das Gutachten im eigenen Interesse zu beeinflussen. Ich rechne Gutachten zudem nach Zeitaufwand ab, damit mein Einkommen unabhängig vom Wert des zu begutachteten Schmuckes bleibt“, betont der Gutachter, der zahlreiche Kurse belegt und Prüfungen abgelegt hat, bevor die Handwerkskammer ihn bestellte. Grundvoraussetzung war ohnehin, dass er finanziell völlig unabhängig von dieser Tätigkeit sein Auskommen bestreiten kann.

Nun muss man nicht immer einen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen beauftragen. Da der Begriff Schmucksachverständiger oder -gutachter aber rechtlich nicht geschützt ist, ist es ratsam, sich vor Beauftragung zu erkundigen, welche Qualifikationen der Gutachter erworben hat.

Für eine Entscheidung sollte man sich Zeit lassen

Für den Schmuck, den ein Kunde an Thomas Becker verkaufen will, erstellt er ein Angebot. „Gerne kann der Kunde sich Angebote von anderen Goldschmieden einholen und vergleichen“, sagt der Obermeister der Gold- und Silberschmiedeinnung Hamburg. Mehr noch als der Ankauf reizt wohl nicht nur diesen Goldschmied, aus nicht getragenen Schmuckstücken Neues zu kreieren. Trauringe mit Edelsteinen verzieren, eine Brosche in einen Anhänger oder eine Gürtelschnalle verwandeln, Anhänger in Ringe integrieren – der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Oder man schmilzt ein Stück oder mehrere ein und schmiedet ein völlig neues Schmuckstück. Dieses kann dann auch in einer anderen Goldfarbe strahlen.

Gleichwohl erzählt dieses neue Stück, das nach den Wünschen und Wertvorstellungen des Trägers gefertigt wird, immer noch ein Stück Geschichte. Die Voraussetzung ist, dass der Goldgehalt der alten Stücke hoch genug ist und dass das Gold keine Verunreinigungen enthält. „Aus Altem Neues zu schaffen, halte ich für die sinnvollste Verwendung von Goldschmuck, der nicht mehr getragen wird“, sagt Thomas Becker. Das Einschmelzen von Altgold spart den Kunden Geld und schützt die Umwelt.

Manchmal raten Goldschmiede auch dazu, einzigartige Stücke zu behalten, auch wenn sie auf den ersten Blick dem Kunden nicht gefallen. Würden diese verändert, würden die Pretiosen zerstört.

Auf jeden Fall, rät der Obermeister der Gold- und Silberschmiedeinnung Hamburg, solle man sich bei der Trennung von einem Schmuckstück Zeit lassen. Erst wenn man mit gutem Gefühl loslassen kann, solle man sich an den Verkauf oder die Gestaltung eines neuen Schmuckstückes wagen.