Mocoa.

María Clemencia Ordóñez lebte bis Freitagabend in dem Stadtteil La Independencia in der südkolumbianischen Stadt Mocoa. Wenige Stunden später war La Independencia verschwunden. Verschluckt, verschüttet von Geröll, Trümmern, entwurzelten Bäumen. Weggespült von Wasser- und Schlammmassen. María Ordóñez floh mit ihren Kindern im letzten Moment aus ihrem Haus, als das Wasser in ihrem Schlafzimmer stand und ihr Bett wegzuschwemmen drohte.

Kaum hatte die Frau das Haus verlassen, raste diese todbringende Lawine nieder, die das gesamte Stadtviertel mit sich riss. Insgesamt 17 Stadtteile sind in der bergigen 45.000-Einwohner-Stadt zerstört worden, sagte die Gouverneurin von Putumayo, Sorrel Aroca. „Es ist eine Katastrophe gigantischen Ausmaßes“. Viele Häuser in Mocoa, der Hauptstadt des Putumayo an der Grenze zu Ecuador, waren aus Holz, Lehm oder Ziegeln gebaut und konnten der Wucht der Lawine in keiner Weise standhalten. María Clemencia Ordóñez hatte Glück im Unglück: „Wir sind mit dem Leben davongekommen“.

Hunderte Bewohner von Mocoa hatten nicht so viel Glück. Sie wurden von den Wasser- und Schlammmassen mitgerissen, erschlagen von Baumstämmen und Trümmern oder sind schlicht ertrunken. 283 Tote, 220 Verletze und bis zu 400 Vermisste, so die Bilanz des Roten Kreuzes. 22 Verletzte konnten in die 700 Kilometer entfernte Hauptstadt Bogotá ausgeflogen werden. Die Rettungskräfte kämpften in der Nacht zu Sonntag um Überlebende und trotzten den harschen Bedingungen. Es gab keinen Strom, und es setzte wieder Regen ein. Die Zahl der Opfer stieg zudem laufend an. Niemand weiß, wie viele Menschen sich noch unter den Trümmern befinden.

Manche Einwohner ignorierten die Warnungen

Den Helfern boten sich herzzerreißende Szenen: Weinende Eltern suchten nach ihren Kindern, Mütter hatten ihre Babys in den Lawinen verloren. Andere fanden Angehörige mehrere Kilometer entfernt lebend wieder. Sie waren vom Wasser mitgerissen worden.

Die Lawine überraschte die Menschen in Mocoa faktisch im Schlaf. Gegen 22.30 Uhr begann am Freitag der erste Alarm, wodurch sich viele Einwohner noch in Notunterkünfte oder auf die Dächer der Häuser retten konnten. Andere Einwohner aber schliefen oder ignorierten die Warnungen.

Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos sagte eine Reise nach Kuba ab und begab sich umgehend nach Putumayo. „Mein Herz und das aller Kolumbianer ist heute bei den Opfern“, betonte er und machte zugleich den Klimawandel für das Unglück verantwortlich. Es seien die schlimmsten Regenfälle in den vergangenen 25 Jahren. In der Nacht zu Sonnabend sei so viel Regen gefallen wie sonst in einem ganzen Monat. Und dabei hat die Regenzeit erst begonnen. Der Präsident rief den Notstand über die Region aus und beorderte das Militär in die Stadt.

Das ganze Ausmaß der Katastrophe offenbarte sich erst gestern. Bewohner, Helfer, Soldaten, Polizisten suchten unter Schlamm und Geröll nach Überlebenden. Hubschrauber brachten Soldaten und Lebensmittel in die Stadt. Mocoa lebt vom Grenzhandel mit Ecuador, der Landwirtschaft und in geringem Maße von der Ölförderung. Das örtliche Krankenhaus könne die große Zahl an Verletzten nicht versorgen, es fehle an Helfern und medizinischem Personal, so die Behörden. Zudem sei die Wasser- und Stromversorgung zusammengebrochen.

Viele Menschen verbrachten die Nacht zum Sonntag im Freien bei Kerzenschein, zwischen oder auf Trümmern sitzend. Rund eintausend Rettungs- und Bergungskräfte arbeiteten die ganze Nacht durch, um noch Überlebende bergen zu können.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zeigte sich erschüttert von der Naturkatstrophe: „Mit Erschrecken“ habe er die Nachrichten und Bilder aus Mocoa gesehen, erklärte Steinmeier am Sonnabendabend. „Mit mir sind heute viele Deutsche in Gedanken bei den Angehörigen der Opfer und bei den Frauen und Männern, die sich noch in Gefahr befinden und auf Rettung hoffen“, fügte er hinzu.

Caritas Kolumbien hat die Not- und Überlebenshilfe für die schwer betroffene Provinzhauptstadt Mocoa eingeleitet. Am Sonntag begannen die Katastrophenhelfer mit der Verteilung von Lebensmitteln und wärmenden Decken an die Einwohner beginnen.

Da Mocoa aufgrund der schwer beschädigten Stromversorgung ohne Licht und Wasser ist, werden auch Stromaggregate, Batterien und Solarpaneele angeschafft. Caritas international, das Hilfswerk des Deutschen Caritasverbandes, unterstützt einen Hilfeappell der Caritas Kolumbien für die Opfer der Überschwemmung mit 50.000 Euro.

Mit Hochdruck werde an der Unterbringung der Opfer in Notunterkünften gearbeitet. „Aktuell gibt es nur fünf Notunterkünfte für 400 obdachlose Familien. „Das ist deutlich zu wenig“, so der Nothilfe-Experte der Caritas, Friedrich Kircher.