Berlin.

Die Diebe kamen in der Nacht, und sie waren schnell. Der Lkw-Fahrer hatte nach einem langen Tag hinterm Lenkrad eine Raststätte an der A44 bei Kassel angesteuert und sich in seinem Führerhaus nach hinten verzogen, um ein paar Stunden zu schlafen. Plötzlich wachte der 46-jährige Tscheche auf, er bemerkte, dass die Fahrerkabine ruckelt. Er stand auf, öffnete die Tür – und ertappte vier Männer, wie sie Kartons aus seinem Sattelzug in einen Kleintransporter räumten. Die Gauner sprangen in ihr Fahrzeug und rasen auf die Autobahn. Ihre Beute: 60 Fernseher im Wert von 60.000 Euro. In der Lkw-Plane klafften zwei große Löcher. Der Fahrer wusste: Er war Opfer von Planenschlitzern geworden.

Der dreiste Diebstahl vor wenigen Tagen ist kein Einzelfall: Profi-Banden haben sich darauf spezialisiert, die Ladung parkender Lastwagen zu plündern. Mehrere Tausend Mal im Jahr schlagen sie zu.

Geklaut wird so ziemlich alles, was sich schnell verkaufen lässt: Küchenrollen und Computer, Kaffeeautomaten und Kinderkleidung. Besonders gebeutelt ist Ostdeutschland: Erst in diesem Monat wurden aus einem Lkw bei Nohra in Thüringen 654 Flaschen Whiskey und Plastik-Ostereier gestohlen, aus einem Sattelauflieger bei Ronneburg verschwand Käse im Wert von 60.000 Euro. Bei Leipzig wurden 300 Autoreifen von einem Sattelzug gestohlen. Die Versicherungsbranche beziffert den jährlichen Schaden auf rund 300 Millionen Euro. Die Masche ist lukrativ, das Risiko gering: In Thüringen etwa hat die Polizei vergangenes Jahr nur drei von 45 Raubzügen aufklären können. Die Polizei kann eben nicht alle Parkplätze permanent überwachen.

Manche Täter arbeiten mit Schlafgas

Wenn doch mal Verdächtige gefasst werden, stammen sie in der Regel „aus dem osteuropäischen Ausland“, sagt Frank Meiske von der Polizei Soest, der seit Jahren mit Planenschlitzern zu tun hat. Bevorzugt steuern sie nachts Raststätten in Ballungsräumen, Grenzgebieten und an Transitstrecken an, zerschneiden die Abdeckplane und schauen, was die geparkten Lkw transportieren. Ist die Ladung wertvoll und leicht zu verstauen, setzen sie eine regelrechte Maschinerie in Gang. Die Täter fordern Komplizen und Transportfahrzeuge an und räumen den Laster leer. „Wenn Sie über die Rastplätze fahren, werden sie kaum Lkw-Planen ohne Flicken finden“, sagt Meiske.

Die Polizei vermutet, dass hinter den Banden ein professionelles Netzwerk steckt: „Der Absatz des Diebesguts muss richtig gut organisiert sein, denn oft sind das Waren, die man nicht ein Jahr in einer Halle stehen lassen kann.“ Viele der Täter sind skrupellos. Spediteure sind sich sicher, dass sie Fahrer sogar mit Schlafgas betäuben, damit die nichts merken. Man habe keine Beweise, berichtet die Polizeidirektion Dresden, die Vermutung sei aber „definitiv kein Hirngespinst“.

Wie professionell die Täter ­vor­gehen, zeigt sich darin, dass sie ihre Masche optimieren. Das Bundesamt für Güterverkehr (BAG) berichtet von einer Studie zum Frachtklau. Demnach haben Planenschlitzer bei der ­mo­dernen Medizin abgeguckt und gehen inzwischen „minimalinvasiv“ vor: Sie ritzen nur noch winzige Löcher in ­die Plane und stecken dann ein Endoskop hindurch, um auszuspähen, was sich an Bord befindet. Dadurch wird gar nicht oder erst viel später erkannt, dass sich Kriminelle der Ware genähert haben.

Behörden und Spediteure arbeiten an Konzepten, um die Diebe abzuwehren. In Thüringen etwa investiert das Verkehrsministerium seit drei Jahren in eine bessere Beleuchtung von Autobahn-Parkplätzen, zudem habe man die Kontrollen verstärkt, heißt es bei der Autobahnpolizei. Mit erstem Erfolg: 2016 ging die Zahl der Diebstähle leicht zurück. In den Niederlanden hat man zudem mit sogenannten Security-Rastplätzen gute Erfahrungen gemacht. Die sind videoüberwacht und registrieren die Kennzeichen aller einfahrenden Wagen. In Deutschland sind solche Rasthöfe eine Seltenheit.

Die Versicherungsunternehmen sehen indes die Speditionen in der Pflicht, ihre Ladung besser zu sichern. Die Versicherungsgesellschaft Kravag warnt: „Das Einsetzen ­einfacher Planen am Anhänger ist eine Teil-Einladung zum Diebstahl.“ ­Speziell verstärkte schnittfeste Pla­nen würden viele Diebe schon abschrecken.