Judy Winter spielt in der Erstaufführung von „4000 Tage“ ab 28. März im St. Pauli Theater

Mütter und Söhne haben eine besondere Beziehung. Nicht unbedingt eine einfache. Auch Carol projiziert in Peter Quilters Komödie „4000 Tage“ unerreichbare Glücksvorstellungen in Sohn Michael. Dass er homosexuell ist, verdrängt sie, seine Beziehung mit Paul missfällt ihr. Als der Sohn nach einem Blutgerinsel eine Amnesie von elf Jahren erlebt, was ziemlich genau der Zeit entspricht, die Michael mit Paul verbracht hat, wittert sie ihre Chance auf Rückeroberung.

Eine wundervolle Rolle für eine erfahrene Schauspielerin wie Judy Winter, die vom 28. März an in der deutschsprachigen Erstaufführung auf der Bühne des St. Pauli Theaters steht, Regie führt Ulrich Waller. Für Schauspielerinnen sind Rollen wie diese schon ab der Lebensmitte rar gesät. Judy Winter synchronisierte Größen wie Shirley MacLaine, Vanessa Redgrave und Jane Fonda. „Aber wo sind sie? Sie spielen kaum“, sagt sie und schüttelt ihr stets akkurat frisiertes trendiges Kurzhaar.

In dem Stück wird um den vermeintlich richtigen Lebensentwurf gerungen

Sie selbst ist 73 Jahre alt, aber von Ruhestand keine Spur. „Dafür macht das Spielen zu viel Spaß, und ich bin viel zu neugierig.“ Zu Beginn stand sie nach langen Proben am Tage am Abend noch in „Haus auf dem Land“ auf St. Paulis Bühne. Winter sagt, sie sei eher jemand für ernsthafte Situationen, dennoch schätzt sie an diesem Stück bei aller Schwere die Leichtigkeit. „Die meisten guten Komödien befassen sich mit ernsthaften Themen. In diesem Stück ist es gelungen, eine normale Geschichte aus der Sicht von drei verschiedenen Leuten zu erzählen und jede Figur zu entlarven“, sagt Winter. „Die Mutter etwa scheint liebend und fürsorglich, ist aber in Wirklichkeit ganz egomanisch. Sie greift nach dem Sohn und will ihn nicht loslassen.“

Sie selbst sieht das natürlich anders und wirft das Gleiche umgekehrt Michaels Freund Paul vor. „In den Augen der Mutter hat er Michael heruntergezogen. Aus einer schillernden, verheißungsvollen Person hat er einen normalen Menschen gemacht.“

Das Stück erzählt als Kammerspiel von diesem Dreiecksverhältnis mit ungewissem Ausgang. Es ist die erste Zusammenarbeit von Judy Winter mit Ulrich Waller. „Das ganze Team ist unschlagbar“, sagt sie. „Wir versuchen alle, eine gute Geschichte zu spielen, mit Ulrich Waller als Regisseur fällt das nicht schwer.“ Die Inszenierung bleibt einem realistischen Erzählen treu. Winter rückt die Ärmel ihres Pullovers hoch. An ihrer Brust prangt die rote Aids-Schleife. Seit 30 Jahren engagiert sie sich für die Aufklärung über die Immunschwächekrankheit. Auch in den schwierigen Anfängen. „Wenn man etwas weiß, sollte man das weitergeben, und wenn man etwas bewegen kann, sollte man das tun“, sagt sie bescheiden.

Nicht erst seit ihren mittlerweile 800 weltweiten Auftritten als „Marlene“ Dietrich und – kritischer und daher wohl weniger erfolgreich – als Hildegard Knef in „Hilde Knef – Der Teufel und die Diva“ ist sie eine Ikone der queeren Szene. Dass dieses Stück auch das Thema behandelt, ist aber Zufall. Eine Lieblingsarbeit? Gibt es nicht. „Die aktuelle Arbeit ist immer die wichtigste“, sagt sie. „Der Geist ist immer auf der Suche, und es ist schön, dass die Neugierde nicht aufhört und die Fantasie weitergeht.“ Die Fantasie ist noch lange nicht am Ende.

„4000 Tage“ Premiere Di 28.3., 19.30, bis 24.4., St. Pauli Theater (S Reeperbahn), Spielbudenpl. 30, Karten zu 17,70 bis 47,40 in der Abendblatt- Geschäftsstelle, Großer Burstah 18–32, HA-Ticket-Hotline T. 30 30 98 98; www.st-pauli-theater.de