Bei akuten Schmerzen sollte der Arzt besucht werden. Leichte Bewegung ist aber in jedem Fall ratsam

Rückenschmerzen sind weit verbreitet. 85 Prozent der Bevölkerung verspüren ihr Kreuz mindestens einmal in ihrem Leben. Das berichtet die Deutsche Kreuzschmerzstudie. Dabei trifft das Leiden Frauen offenbar häufiger als Männer. „Weit überwiegend handelt es sich dabei um Schmerzen, bei denen wir keine spezifische Ursache finden. Nur bei maximal 15 Prozent sehen wir einen Bandscheibenvorfall, eine Verengung des Wirbelkanals, instabile Wirbelkörper, eine Erkrankung der kleinen Wirbelsäulengelenke, einen Bruch oder auch einen Tumor“, sagt Dr. Joachim Mallwitz, Orthopäde am Rückenzentrum Am Michel in der Hamburger-Altstadt.

Veränderungen an den Wirbelkörpern, ihren Gelenken oder den Bandscheiben führen aber längst nicht immer zu Schmerzen. Das zeigt eine Studie aus den Niederlanden. Die Mediziner untersuchten die Wirbelsäule von 3000 Menschen, die keine Beschwerden hatten. Schon bei 20-Jährigen entdeckten sie deutliche Veränderungen, doch diese lösten keine Schmerzen aus. Selbst im Alter von 80 Jahren, wenn diese Veränderungen bei nahezu jedem Studienteilnehmer auftraten, fühlten sich die Menschen wohl. „Der Schmerz entsteht aber nicht an der Wirbelsäule sondern im Kopf. Wenn wir den Patienten Bilder zeigen, auf denen deutlich ein Bandscheibenvorfall zu sehen ist, dann kann das eine Kette von Assoziationen auslösen, die in Angst und Schmerz mündet“, sagt Dr. Mallwitz und fügt hinzu: „Etwa die Hälfte aller Menschen über 50 Jahre haben Bandscheibenvorfälle, aber längst nicht jeder ist bedeutsam, viele sind so unbedeutend wie graue Haare. Sie stören diese Menschen nicht.“

Bei plötzlichem Schmerz kann schon ein heißes Bad helfen

Wenn aber der Schmerz plötzlich ins Kreuz schießt, rät der Orthopäde, sich etwas zu schonen, vielleicht ein heißes Bad zu nehmen, schwimmen zu gehen, sich angemessen zu bewegen und einfache Schmerzmittel einzunehmen. Bei etwa einem Drittel aller Menschen, die an einem akuten Kreuzschmerz leiden, verschwindet dieser spätestens nach sechs Wochen ebenso überraschend wie er auch gekommen ist.

„Wir könnten viel mehr Menschen helfen, wenn wir die Therapie ‚Bewegung statt Bettruhe’ offensiv in der Bevölkerung und unter den Ärzten verbreiten könnten“, sagt der Orthopäde und verweist auf eine Studie aus Australien. Zwei Jahre lang informierten Ärzte die Bevölkerung des Bundesstaates Victoria über Fernsehen, mit Plakaten und Broschüre darüber, dass bei Rückenschmerzen Bettruhe nur kurz sein soll und stattdessen Bewegung sowie Arbeit fortgesetzt werden solle. Die Anzahl der Krankschreibungen wegen Rückenschmerzen sank daraufhin um 15 Prozent, und die Behandlungskosten pro Patient verringerten sich um 20 Prozent.

Strahlen die Schmerzen hingegen in die Beine, lösen sie ein Gefühl der Taubheit sowie Kribbeln aus, oder halten sie länger an, sollte man einen Orthopäden aufsuchen. „Wir klären dann ab, ob es eine medizinisch bedeutsame Ursache gibt. Dazu sprechen wir mit den Patienten über ihre ganze Krankheitsgeschichte, lassen uns die Schmerzen genau schildern und sehen uns insbesondere den ganzen Menschen an“, sagt der Mediziner. Zudem helfen Röntgenbilder oder Magnetresonanztomogramm bei der Diagnostik.

Bei 80 Prozent der Patienten stellen Verschleißerscheinungen nur einen geringen Teil der Ursache der Beschwerden dar. „Löst ein Bandscheibenvorfall Lähmungen im Bein aus, die immer mehr zunehmen, dann kann eine Spritzentherapie angeraten sein. Operationen sind sehr selten nötig“, sagt Dr. Mallwitz. Schmerzt nur der Rücken, können die Patienten an einem Diagnostiktag teilnehmen. „Wir bieten chronisch schmerzkranken Patienten an, sich mit einem Orthopäden, einem Physiotherapeuten und einer Psychologin zu unterhalten. Danach setzen sich diese drei zusammen und erörtern, wie diesem Patienten am besten geholfen werden kann. Manche Menschen haben sich soweit in sich zurückgezogen, dass sie umfassende Hilfe brauchen, um wieder am Leben teilzunehmen.“

Einige bekommen eine Power-Therapie. In Gruppen zu acht Personen treiben sie vier Wochen lang täglich fünf bis sechs Stunden Sport. Für dieses Programm gibt es Sonder-Verträge mit vielen gesetzlichen Krankenkassen. „Sie überwinden in der Therapie, in der sie von Medizinern, Psychologen und Physiotherapeuten begleitet werden, ihre Angst vor Schmerz, die sie bewegungsängstlich gemacht hat. Dabei bekommen zunächst alle mehr Schmerzen, allein schon wegen des typischen Muskelkaters“, sagt der Orthopäde. Doch langsam wende sich das Blatt und 80 Prozent der Teilnehmer, die sorgfältig ausgewählt werden, kehren in ihren Beruf zurück.

Auch im Alltag gilt, fordern sie sich! Laufen sie die Treppen hinauf, tragen sie Getränkekisten, machen sie Liegestütze, toben sie sich an Fitnessgeräten aus, kräftigen sie ihre Muskeln.