Das Drama „Moonlight“, bei den Oscars als Bester Film gekürt, erzählt sehr poetisch, wie ein schwarzer, schwuler Mann seine Identität sucht

Drei Namen. Drei Alter. Drei Gesichter. So wird in „Moonlight“ ein Leben unter prekären Verhältnissen erzählt, ja förmlich aufgeblättert. Drei Episoden, die alle für sich alleine stehen könnten. Die aber als Triptychon mehr sind als die Summe ihrer Teile. Bei den Oscars war es dieser Film, der den Favoriten „La La Land“ überraschend geschlagen hat. Sie wollen einem nicht aus dem Kopf, diese Bilder, wie dort erst der falsche Titel als Bester Film genannt wurde, wie erst lauter Weiße die Bühne betreten, dann der Irrtum bemerkt wird und am Ende fast nur noch Schwarze auf der Bühne stehen. Aber genau darum geht es: Noch nie ist die Geschichte eines Schwarzen, eines Schwulen obendrein, die Geschichte einer mehrfachen Ausgrenzung und der mühsamen Befreiung daraus so eindringlich erzählt worden wie hier.

Die Mutter ist cracksüchtig und bräuchte selber Hilfe

Drei Namen. Drei Alter. Es beginnt mit Little. So nennen die anderen den Jungen, den sie hänseln in der Schule. Den sie Schwuchtel nennen, bevor der überhaupt weiß, was das ist. Dem sie auflauern. Vor denen er sich versteckt. Eine trostlose Kindheit in den Vororten von Miami, wo die berühmte Sonne von Florida nicht zu scheinen scheint. Mit einer Mutter, die sich nicht kümmert, die crack­süchtig ist und selber Hilfe bräuchte. Es ist nicht ohne Ironie, dass ausgerechnet ein Drogendealer sich um den Jungen kümmert. Ihm in einer berührenden Szene das Schwimmen beibringt. Und auch sonst lehrt, wie man nicht untergeht.

Chiron. Als 16-Jähriger kämpft der Junge um seine Identität, seinen echten Namen. Ein Erwachen auch in sexueller Hinsicht. Chiron ist noch immer verschlossen, sein Ersatzvater, wie man nebenbei erfährt, längst tot. Der Teenager merkt, dass die Gefühle zu seinem einzigen Freund Kevin mehr sind als nur Freundschaft. Sie werden sogar erwidert. Aber es ist nur ein kurzer Moment des Glücks, der jäh zerstört wird. Und Chiron zu einem anderen Menschen macht.

Black. Mit 26 ist er im fernen Atlanta genau das geworden, was der Ersatzvater war. Ein Drogendealer. Mit Protzgehabe und gestähltem Körper, der wie ein Panzer wirkt und seine Verletzungen verbirgt. Er nennt sich jetzt Black. Ein stolzer Trutzname wider den Rassismus. So hat ihn aber vor allem Kevin genannt. Und der will ihn plötzlich, nach all den Jahren, wiedersehen. Und wird ihn offen fragen, ob er wirklich das geworden ist, was er werden wollte.

Es gibt genug Filme über Drogenmilieus, gerade in Amerika, es gibt genug Klischeefallen, in die man dabei tappen kann. Aber der erst 37-jährige Regisseur Barry Jenkins umschifft sie alle mit Bravour. Er unterlegt seinen Film nicht, wie man das so oft gesehen hat, mit harten Rapsongs, sondern mit klassischer Musik. Erzählt nicht in ruppiger Bildersprache und harten Schnitten, sondern mit einer schwebenden, oszillierenden Kamera, die alles poetisch überhöht. Und in unterschiedliches Licht taucht. Tatsächlich hat Jenkins für seine Episoden sogar mit unterschiedlichem Filmmaterial gearbeitet.

Drei Gesichter. Alex R. Hibbert als Little, Ashton Sanders als Chiron und Trevante Rhodes als Black: Sie alle spielen eindringlich und mit einer Intensität, die lange nachwirkt. Dabei sehen sich die drei gar nicht so ähnlich. Aber sie haben ganz ähnliche Augen, auf die die Kamera immer wieder zoomt. So verschmelzen sie wirklich, wie auf dem Filmplakat, zu einer Person. „Moonlight“ ist dabei auch ein Film über Männlichkeit, gerade im Gangsta-Milieu. Gewalt ist als Drohung zwar immer präsent, aber sie dominiert nicht. Den Großteil des Films nehmen vielmehr Dialogszenen ein, in denen wiederum die Blicke am meisten sagen. Und in denen philosophische Grundfragen abgesteckt sind: Wer bin ich? Welchen Platz will ich einnehmen in der Welt?

Eine Frage, die sich auch Tarell Alvon McCraney (Jahrgang 1980) und Barry Jenkins (1979) gestellt haben. Beide sind in ebendiesen Verhältnissen aufgewachsen, in derselben Sozialsiedlung von Miami, Liberty City, zur Hochzeit der Crackwelle. Beide drohten selbst in die Kriminalität abzurutschen. Haben sich aber gerettet durch die Kunst. Jenkins wurde Filmregisseur, McCraney Dramenautor. Seine Erfahrungen hat McCraney in dem Stück „In Moonlight Black Boys Loo Blue“ verarbeitet. Das wurde zwar nie aufgeführt, Jenkins hat es aber dennoch gelesen. Es sprach ihm aus dem Herzen. Es erzählte seine Geschichte. Und auch wenn die beiden auf dieselben Schulen gegangen sind, haben sie sich erst kennengelernt, als Jenkins McCraneys Stück adaptierte.

Ein Film, den es fast nicht gegeben hätte. Zehn Jahre brauchte Jenkins, um ihn zu realisieren. Es stand ihm nur ein vergleichsweise lächerliches Budget zur Verfügung. Und er musste den Film in 25 Tagen abdrehen. Ein Witz. Und doch ist ein kleines, feines Meisterwerk daraus geworden. Ein Film, der so ganz anders ist als alles, was man derzeit im Kino sieht. Ein Film, der wieder das Zusehen und auch das Zuhören lehrt. Und an die Kraft der Veränderung glaubt. Also auch irgendwie an den amerikanischen Traum, nur ohne jedes Pathos.

„Wir sind dieser Junge. Wenn man ,Moonlight‘ anschaut, denkt man nicht, dass ein Junge mit solch einem Hintergrund ein Kunstwerk produziert.“ Das waren die Worte, die Jenkins gern in seiner Oscar-Dankesrede sagen wollte, wäre da nicht dieses Chaos gewesen. Er hat sie nachgereicht. Denn er wolle „jedem, der zuschaut, der sich in uns sieht, sagen: Lasst das ein Symbol sein, eine Selbstbetrachtung, die dazu führt, sich selbst zu lieben. Das nämlich macht den Unterschied zwischen dem Träumen und der Realisierung von Träumen, die man sich nie erlaubt hat.“

„Moonlight“ USA 2016, 111 Min., ab 12 J.,
R: Barry Jenkins, D: Mahershala Ali, Naomie Harris, Trevante Rhodes, täglich im Abaton (OmU),
Cinemaxx Dammtor (OF), Holi, Savoy (OF), Studio (OmU), Zeise (OmU)