Wedel. Beim Wedeler TSV sind ein Großvater, seine Tochter und auch die Enkel aktiv. Die Familie ist ein Beispiel dafür, dass Sport in der Gemeinschaft eine Zukunft hat

Kleine Mädchen können auch kichern, wenn für sie die Welt auf dem Kopf steht. In der großen Sporthalle des Wedeler TSV haben Merle und Fenia ihre Körper an die Wand gelehnt – die Beine nach oben, die Köpfe nach unten stehen sie auf den Händen. Merle schaut kurz, ob Fenia noch durchhält, verlagert ihr ganzes Gewicht auf die rechte, dann auf die linke Hand. Wer kann so am längsten auf den Händen stehen? „So motivieren die Mädchen sich gegenseitig“, sagt Jennifer Ruff, die Mutter der acht Jahre alten Merle, die an der Spitze der gesamten Turnsparte steht. „Mit dieser Übung verbessern die Mädchen ihre Körperspannung, die so entscheidend im Kunstturnen ist.“

Tochter Merle und ihre Freundin, um das vorwegzunehmen, sind gerade in den D-Kader der Kunstturnerinnen von Schleswig-Holstein aufgenommen worden. Und wir sind beim Sondertraining der fleißigsten und ehrgeizigsten Leistungsturnerinnen des Wedeler TSV.

Darum allerdings geht es in dieser Geschichte eher am Rande. Mit Merle und Mutter Jennifer Ruff sind auch Zwillingsbruder Philipp und Opa Norbert Kläber in die Halle gekommen. Der Junge im weißen Aikido-Kampfanzug, der Senior in Shirt und kurzer Hose. Opa, Mutter, Zwillinge. Drei Generationen aktiv im Wedeler Turn- und Sportverein. Das ist noch immer und wieder verstärkt die Basis der Sportvereine, die oft auf eine lange Tradition zurückblicken, denen aber viele keine Zukunft mehr zugetraut haben. Die Vereinsmeierei, die Strukturen mit den festgeschriebenen Übungszeiten, auch das ehrenamtliche Engagement – das passe doch nicht mehr in unsere Zeit, denken manche. Gegen die modische Konkurrenz der Fitness-Center könnten die gemeinnützigen Vereine doch kaum noch bestehen.

„Als ich als Rentner eingesehen habe, dass ich etwas für meine Beweglichkeit und Gesundheit tun muss, habe ich mich auch zuerst in einem kommerziellen Center umgesehen“, erzählt Norbert Kläber. „Aber alleine auf dem Laufband schwitzen, das hat mich abgeschreckt. Jetzt freue ich mich jeden Mittwoch auf unsere Fitness-60-plus-Gruppe. Über den Verein haben viele von uns Älteren neue Freundschaften gefunden.“

Das gilt erst recht für Kinder. Die Zwillinge waren ein Jahr alt, als die Mama sie in der Krabbelgruppe anmeldete. „Später wollte Merle auch so ein Glitzertrikot wie unsere Kunstturnerinnen es tragen“, erzählt die Mutter, die selbst beim „Fitness-Cocktail“ mitmachte, bevor sie ihren Einsatz für den Verein auf die Führung der 570 Mitglieder (davon 209 Kinder und Jugendliche) der Turnabteilung ausweitete. Tochter Merle, das kleine Energiebündel, hat ihr Ziel längst erreicht.

Sie zählt in der Leistungsgruppe, die drei-, vier- und auch fünfmal in der Woche trainiert, zu den hoffnungsvollsten Talenten. Im Nachwuchskader von Schleswig-Holstein turnen Merle und Fenia einmal im Monat weitere fünf Stunden. „Die beiden sind Konkurrentinnen und doch die engsten Freundinnen“, sagt die Mutter. „Dieser Gemeinschaftsgeist, der Zusammenhalt, die engen Freundschaften in den Gruppen, das mitzuerleben, ist wunderbar. Dabei muss beim Kunstturnen ja diszipliniert und nach strengen Regeln trainiert werden. Aber die Mädchen spornen sich gegenseitig an, und in der Gemeinschaft wächst ihr Ehrgeiz.“

Wie weit der geht, erstaunt jeden, der ins Wohnzimmer der Familie Ruff eintritt. Im Baumarkt hat der Vater ein Kantholz in den Maßen eines Schwebebalkens gekauft und es mit einem Stück Teppich bespannt. Auf dem übt Merle zurzeit den Menichelli, eine Art Flick-Flack rückwärts. Der Bruder schaut oft zu und macht seiner Schwester Mut. Einmal in der Woche gehen die Zwillinge auch gemeinsam zum Schwimmtraining. Philipp macht noch Aikido beim TSV und spielt Basketball beim SC Rist.

„Leistungssport wie unser Kunstturnen ist teuer für die Vereine“, bekräftigt Jennifer Ruff. „Der gesamte Kinder- und Jugendsport wäre ohne die Solidargemeinschaft der Erwachsenen nicht möglich. Aber wo sonst, wenn nicht im Sportverein, können Kinder heute noch soziale Kompetenz lernen. Und vor allem: Kinder wollen sich messen. Das fördern auch wieder viele Eltern. Bei unserer Eltern-Kind-Gruppe waren zuletzt 45 Kinder und 35 Erwachsene in der Halle. Und so manche der Väter oder Mütter haben selbst als Kind beim Wedeler TSV begonnen. Da sage noch einer, nach mehr als 150 Jahren habe der Wedeler Turn- und Sportverein keine Zukunft mehr.“