Hamburg . Im fünften Teil unserer Serie „Handy – Sucht oder Segen“ geht es um die Facebook- und Twitter-Strategie der Ordnungshüter.

Als das Gespräch zu Ende ist und Abendblatt-Fotograf Michael Rauhe seine Fotos macht, juckt es auch Tobias Greve. Mit seinem Smartphone hält er nun auf Rauhe und drückt auf den Auslöser. „Für eine Meldung auf Twitter“, sagt Greve. Wenige Minuten später steht es schon dort, auf Twitter: das Foto mit dem fotografierenden Fotografen, dazu ein paar Zeilen Text.

So ist das heute, alles interessiert irgendwie und muss schnell ins Netz, inzwischen auch bei der Hamburger Polizei. Deren neues Social-Media-Team, zu dem auch Greve gehört, hat ein ausgeprägtes Gespür für Themen entwickelt, die sich gut auf Facebook und Twitter verkaufen. Ein Bankraub? Spannend, muss drauf. Verkehrssperrungen? Interessiert jeden. Ein Video zur Gurtpflicht im Auto? Klar, dient der Aufklärung. Unser Fotograf Michael Rauhe? Nicht gerade superrelevant, aber ganz lustig. Smiley.

Internet-Nutzerschaft bei Laune halten

Solche Posts und Tweets kommen aus einem Büro des Polizeipräsidiums, ein winziger Raum, fünfter Stock, in dem man einen Server brummen hört und jeder Schreibtisch mit Doppelbildschirmen ausgerüstet ist. Im Büro, direkt neben der Pressestelle, schlägt das digitale Herz der Hamburger Polizei, drei Beamte verantworten dort ausschließlich die recht junge Facebook- und Twitter-Präsenz.

Neben Kriminalhauptkommissar Greve sind das Polizeioberkommissar Kristian Fehrmann (38) und Polizeioberkommissarin Julia Kühl (34). Ihre Aufgabe: Sie sollen über die Polizeiarbeit informieren (und ein Stück weit transparent machen), über Straftaten aufklären, dann aber auch noch unterhalten, um die Internet-Nutzerschaft bei Laune zu halten. Kann das gut gehen?

Social-Media-Team wurde 2016 gegründet

Gemessen an den teils bombastischen Klickzahlen und der steigenden Zahl der Abonnenten bei Facebook und Twitter lässt sich das eindeutig bejahen. Weil immer mehr Menschen ihre Informationen übers Smartphone und durch soziale Netzwerke beziehen, wurde das Social-Media-Team, kurz SMT, im Januar 2016 auf Initiative von Polizeisprecher Timo Zill gegründet. Seitdem sind die Nutzerzahlen noch einmal deutlich gestiegen.

„Bei Twitter nutzen 80 Prozent unserer Follower die App mit ihrem Smartphone“, sagt Greve. Inzwischen wird die Facebook-Seite von mehr als 56.000 Nutzern abonniert, bei Twitter hat die Polizei mehr als 69.000 Follower. Tendenz: steigend. Kein Wunder, dass die Polizei jetzt prüft, ihr Social-Media-Engagement auch auf Instagram oder sogar Snapchat auszudehnen.

Schwerpunkt auf Präventionsgeschichten

Jeden Tag wählt das SMT aus der Flut von Polizeimeldungen die am besten geeigneten aus und bereitet sie für Facebook und Twitter auf. Der thematische Schwerpunkt liegt auf Präventionsgeschichten, auf Zeugenaufrufen und Öffentlichkeitsfahndungen. Seit einigen Wochen darf, sofern die Staatsanwaltschaft grünes Licht gibt, mit Bildern auf Twitter und Facebook nach Verdächtigen gefahndet werden. Keinesfalls sollen Twitter und Co. aber eine Art zweiten Notruf-Kanal eröffnen: „ Keine Anzeigen! Keine Notrufe! Keine Hinweise! In Notfällen 110 wählen.“

Zur täglichen Arbeit gehört auch die Kommunikation mit den Nutzern, die in beiden Netzwerken fleißig Kommentare hinterlassen. „Jede ernst gemeinte Frage beantworten wir auch“, sagt Greve. Kritische, nicht beleidigende Kommentare, werden bewusst stehen gelassen. Störenfriede, sogenannte Trolle, gibt es aber auch. Von 8 bis 18 Uhr filtert das SMT Hassnachrichten heraus, danach übernimmt der Lagedienst die Moderation.

Meldungen in einem launigen Ton verfasst

Dafür, dass es sich um offizielle Kanäle der Hamburger Polizei handelt, sind die Auftritte in den sozialen Netzwerken geradezu progressiv: Die Meldungen sind häufig in einem launigen Ton verfasst, die Ansprache ist persönlich („ihr“, „euch“), dazu gibt es Videos, die zeitgeistig schnell geschnitten sind. Außerdem werden die Kanäle für die Eigenwerbung („Gesichter der Polizei“) genutzt oder dienen als Kulisse für seichte Geschichten wie die Verlobung eines Feuerwehrmanns und einer Polizistin („112 wählt 110“) – ein Kessel Buntes eben.

Wie signifikant alleine Fotos die Reichweite erhöhen können, zeigte sich vor drei Monaten, als die Polizei mit einem wunderschönen, aus einem Hubschrauber geschossenen Panoramabild von Hamburg einen unverschämt erfolgreichen Coup landete. Mehrere Zeitungen, darunter auch das Abendblatt, druckten es nach. Innerhalb weniger Tage bescherte das Foto der Polizei rund 6000 zusätzliche Facebook-Abonnenten.

Emotionale Themen laufen auch hier am besten

Am besten, weiß Greve, laufen aber Artikel, die einen besonderen, einen emotionalen Zugang zu einem Thema öffnen. Um Autofahrer vor Beginn des neuen Schuljahres für Gefahren im Straßenverkehr zu sensibilisieren, veröffentlichte die Redaktion im September 2016 einen „Brief an einen Autofahrer“ – es ist die mit 776.000 Clicks bisher bestgeklickte Geschichte der Polizei auf Facebook. Darin wendet sich ein fiktives Mädchen namens Lara an einen Autofahrer. „Ich weiß, du hast es nicht böse gemeint“, steht da. Erst am Ende erfährt der Leser, dass das Mädchen bei dem Unfall ums Leben kam. Gänsehaut pur.

In Zukunft will das Team seine Bekanntheit durch eigene Projekte noch weiter steigern. So wird es am heutigen Freitag – verstärkt von sieben Kollegen –, zwölf Stunden lang nonstop aus der Notrufzentrale der Polizei twittern. So gut wie jede Streifenfahrt soll dann in Echtzeit über den Äther gehen.

Smartphones spielen immer wichtigere Rolle

Nicht nur im medialen Bereich, auch im Alltagsgeschäft der Polizisten spielen Smartphone und Co. eine immer wichtigere Rolle. So werden in Vermisstenfällen Handys zur Standortermittlung eingesetzt, auf richterlichen Beschluss hin – häufig im Segment der organisierten Kriminalität – (Mobil-)Telefone überwacht. Seit Kurzem steht, nach holprigem Start, mit Messenger24 zudem ein System zur Verfügung, das einen schnellen Austausch von Nachrichten, Bildern, Videos, Tondateien und Standortdaten ermöglichen soll – dazu hat die Polizei 900 Lumia-Handys im Wert von 100.000 Euro angeschafft. „Messenger24 ist ein sehr wichtiger und konkreter Schritt hin zur mobilen Polizei 4.0“, sagt Polizeisprecher Timo Zill. Künftig sollen damit auch Daten aus polizeilichen Auskunftssystemen wie POLAS abgefragt werden können. Zudem entwickelt die Polizei eine Smartphone-App zur Unfallaufnahme.

Zill ist optimistisch: „Unser Ziel ist es, dass die Beamten durch die Nutzung der neuen Systeme draußen verstärkt eingesetzt werden können – und weniger Zeit mit der Berichtsfertigung verbringen.“