Hamburg. 270.000 Jungen und Mädchen in Deutschland sind krankhaft internetabhängig. Start einer Abendblatt-Serie

Immer mehr Kinder und Jugendliche in Deutschland sind süchtig nach Spielen oder anderen Anwendungen im Internet. Nach einer aktuellen Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) leiden inzwischen schon 270.000 Jungen und Mädchen an einer computerspiel- oder internetbezogenen Abhängigkeit.

„Das sind erschreckende Zahlen“, sagt Professor Rainer Thomasius, Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kinder- und Jugendalters am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE), dem Abendblatt. Er plädiert für ein Handyverbot an allen Schulen. Thomasius ist einer der renommiertesten deutschen Suchtexperten. Ihm geht es nicht nur um mögliche Störungen des Unterrichts durch eingeschaltete Smartphones. Es gehe auch darum, die Online-Zeiten einzuschränken: „Im Schnitt sind Jugendliche an Werktagen drei Stunden im Internet unterwegs, an Wochenenden vier Stunden. Das ist zu viel. Nach unseren Studien sind knapp fünf Prozent der Kinder und Jugendlichen internetsuchtgefährdet.“

Die Eltern seien aufgerufen, die Kinder beim Surfen stärker zu kontrollieren: „Mich erschreckt, dass in unseren Studien 50 Prozent der befragten Eltern gar keine zeitliche Vorgabe machen, ein Drittel wissen nicht, auf welchen Seiten ihre Kinder im Netz unterwegs sind. Viele Eltern sind möglicherweise sogar froh, wenn sich ihre Kinder dank des Internets ruhig verhalten. Aber diese Ruhe ist fatal.“

Im Deutschen Suchtzentrum am UKE werden jedes Jahr 1600 junge Menschen wegen Süchten behandelt, stationär, teilstationär in einer Tagesklinik oder ambulant. Jeder vierte Behandlungsfall geht auf eine Internetabhängigkeit zurück. Im Schnitt waren die Internetsüchtigen 18 Monate nicht mehr in ihrer Schule, um mitunter Tag und Nacht online zu sein. Gefährdet sind in erster Linie männliche Jugendliche, ihr Anteil liegt bei 95 Prozent. Vor allem Jugendliche mit wenig Selbstwertgefühl würden sich im Internet Rollen aussuchen, die Macht und Stärke symbolisieren. Mädchen gehe es dagegen in erster Linie um Kommunikation in sozialen Netzwerken.

Thomasius fordert auch strengere Regeln für die Computerspiele-Indus­trie. Altersangaben seien oft zu niedrig, da viele Spiele Glücksspiel-Charakter hätten. Gefährlich sei auch, wenn Strategiespiele den Spielern keine Pausen mehr gestatten würden: „Wer bei diesen Spielen offline geht, riskiert, dass das, was er erschaffen hat, von anderen Teilnehmern zerstört wird.“

Heute im Magazin Teil 1: Gutes Handy, böses Handy – was Schulen und Experten sagen