Renate Leo-Buth litt über mehrere Jahre an schweren Rückenproblemen. Sie konnte nicht mehr sitzen, nicht mehr arbeiten. Ihre Psyche war angeschlagen. Nach etlichen erfolglosen Therapien fand sie Hilfe in der Tagesklinik im Marienkrankenhaus. Von Ann-Britt Petersen

Die Attacke kam plötzlich. „Eines Morgens setzte ein starker stechender Schmerz ein, sodass ich nicht mehr sitzen konnte“, sagt Renate Leo-Buth. Sie versuchte die Beschwerden zunächst mit Tabletten in den Griff zu bekommen. Doch weil sie keine Wirkung spürte, fuhr sie am Abend in die Notaufnahme eines Krankenhauses. Verdacht auf Bandscheibenvorfall lautete die erste Diagnose. Die 59-Jährige blieb zwei Wochen in der Klinik, bekam Morphine, starke Schmerzmittel. Das war vor sechs Jahren. Ihre Schmerzen wurde sie seitdem nicht mehr los. Es begann eine Odyssee auf der Suche nach Heilung. „Ich lief von Arzt zu Arzt, aber keiner fand etwas, keiner konnte helfen“, sagt Leo-Buth.

Mit dem Dauerschmerz veränderte sich das Leben der Sachbearbeiterin und Mutter zweier erwachsener Töchter radikal. Die leidvollen Körperempfindungen machten es ihr unmöglich, Lasten zu heben oder zu tragen. Putzen, Einkaufen oder Staubsaugen übernahm ihr Mann. „Ich aß im Stehen, schaute Fernsehen im Stehen und lief immer rum, weil ich nicht mehr sitzen konnte.“ Sie bekam Spritzen, schluckte Tabletten, ging zur Krankengymnastik, wurde stationär in einer psychosomatischen Klinik aufgenommen mit anschließender Kur. Doch nichts brachte Linderung. „Vier Jahre lang nicht sitzen können, das kann sich keiner vorstellen“, sagt die gebürtige Kölnerin heute. „Ich war so niedergeschlagen, völlig am Boden zerstört. Man beginnt an sich selbst zu zweifeln“, sagt Leo-Buth, die inzwischen erwerbsunfähig ist.

Eine Operation sollte eine neue Perspektive bringen, der Spinalkanal, ein Wirbelkanal mit Nervengewebe, wurde erweitert. Als auch dies keine Besserung ergab, folgten weitere Operationen. Es hatte sich herausgestellt, dass zwei Lendenwirbelkörper instabil waren. Operativ wurden fünf Lendenwirbelkörper versteift. „Das war vor zwei Jahren, seitdem kann ich endlich wieder sitzen“, sagt Leo-Buth. Doch die Schmerzen hatte sie immer noch.

Und damit ein Leiden, das sehr viele Menschen betrifft: chronische Schmerzen. „Wir verstehen darunter Beschwerden, die mindestens drei Monate bestehen oder wiederholt auftreten. Sie können nach chronischen Krankheiten entstehen, oft lassen sich jedoch keine direkten körperlichen Auslöser mehr ausmachen“, sagt Dr. Joachim Nitsche, Oberarzt der Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie am Katholischen Marienkrankenhaus. Im Unterschied zum akuten Schmerz, der als Symptom etwa einer bestimmten Krankheit eintritt, ist der chronische Schmerz selbst zur Krankheit geworden, sagt der Mediziner. Das Nervensystem sei durch die ständigen Schmerzreize aus dem Gleichgewicht geraten. Im Alltag des Patienten drehe sich alles nur noch um den Schmerz, so Joachim Nitsche.

Sechs Millionen Deutsche haben chronische Schmerzen

Nach Angaben der Deutschen Schmerzgesellschaft e. V. leiden etwa sechs Millionen Deutsche an chronischen, nicht tumorbedingten Schmerzen, die sie in ihrem Alltag stark beeinträchtigen. Der chronische Zustand wirkt sich auch auf die Psyche aus. Depressionen und sozialer Rückzug sind häufige Folgen.

Um diesen Patienten zu helfen, ist eine komplexe Therapie nötig. Eine ganzheitliche Behandlung, die sowohl medikamentöse, psychologische als auch physiotherapeutische Ansätze enthält und mit Sport und Entspannung einhergeht, bietet das Marienkrankenhaus in der Tagesklinik für chronische Schmerzen an. Bei der sogenannten multimodalen Behandlung steht die Sichtweise auf den Schmerz im Fokus. „Die Werkzeuge, die wir im Kopf haben, um Schmerz zu verarbeiten, taugen nur für den akuten, nicht jedoch für den chronischen Zustand. Es müssen neue Denkweisen und Fähigkeiten erarbeitet werden, die beim Umgang mit dem Schmerz helfen“, sagt Mediziner Nitsche. Gearbeitet wird daran auf allen Ebenen etwa mit Gruppengesprächen, Sporttherapie, Bewegungsbädern, Entspannungsübungen. „Schmerzkranke sollen neue Möglichkeiten erfahren, einüben und trainieren – wie das Lernen einer neuen Sprache“, sagt Nitsche. Auch gegen Widerstände und alte Gewohnheiten. Daher dauert die teilstationäre Schmerztherapie vier Wochen.

„Wichtig ist die Wiederholung, um den Patienten das Gespür zu vermitteln, dass sich etwas verändern kann“, sagt Nitsche. Auch der Austausch in der Gruppe mit maximal acht Patienten ist förderlich. „Es lernt sich besser in der Gruppe als im Einzelgespräch mit dem Arzt“, so Nitsche.

Renate Leo-Buth hat mit der Behandlung in der Tagesklinik gute Erfahrungen gemacht. „Hier wurde ich ernst genommen, bis dahin hatte ich immer gehört: ,Wir können nichts mehr machen‘“, sagt sie. Sie lernte Strategien, um sich von ihren Schmerzen abzulenken. Heute hilft ihr viel Bewegung, etwa im Fitnesscenter und beim täglichen Spaziergang mit dem Hund. Aber auch das Malen hat sie wieder für sich entdeckt. „Vor der Tagesklinik lag mein Schmerzempfinden auf einer gedachten Schmerzskala von eins bis zehn immer bei acht aufwärts. Jetzt liegt es an guten Tagen bei vier. Ich hätte nie gedacht, dass ich da wieder hinkomme“, sagt sie. Sie ist weiter in ärztlicher Kontrolle und auf Schmerzmittel angewiesen. Aber inzwischen weiß sie, dass es schlechtere und bessere Tage gibt. „Ich arbeite daran, dass es mehr von den besseren Tagen werden“, sagt sie zuversichtlich.

Am 1. März findet um 18 Uhr ein Info-Abend mit Dr. Joachim Nitsche zum Thema „Chronischer Schmerz“ statt, Kath. Marienkrankenhaus, Alfredstraße 9. Anmeldung erbeten unter: info@marienkrankenhaus.org