Hamburg. Maryam kam vor neun Monaten aus dem Iran nach Deutschland. Heute besucht sie ein Hamburger Gymnasium. Im Abendblatt schreibt sie über Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft, ihre Träume und ihre Wünsche

Gymnasium Ohlstedt

Es ist egal was heute passiert, weil am Ende alles gut wird. Das weiß ich. Erfahrungen zu machen ist manchmal wichtiger als perfekt in der Schule zu sein, denn schwierige Erfahrungen lassen den menschlichen Geist wachsen. Der beste Platz zum Leben ist der Ort, an den man gehört. Das Schlimmste, was einem Menschen im Leben passieren kann, ist an einem Ort zu leben, an den man nicht gehört. Und bei mir ist es genau so. Ich habe Heimweh und ich weiß im Moment nicht, was meine Identität ist.

Diese Geschichte fängt da an, wo ich mich von meinem Land verabschiede. Ich habe im Iran gelebt. Ich musste mich von meinem Zimmer, meinem Bett, unserem Haus, den Gassen, den Straßen, den Leuten verabschieden. Da habe ich etwas gelernt: Wenn man sich an das gewöhnt, was man im Leben hat, verliert man es. Deswegen soll man sich nicht an die Dinge, die man im Leben hat, gewöhnen. Denn es ist schwer, die Dinge zu verlieren, an die man sich gewöhnt hat. Und wenn man etwas verliert, muss man bereit sein, wieder bei null anzufangen.

Ich habe mein Leben, so wie ich es gewohnt war, verloren. Ich bekomme ein neues Leben, mit neuen Menschen, mit einer neuen Sprache, und wie ein Kind musste ich diese neue Sprache lernen.

Sich an neue Dinge zu gewöhnen, die man nicht kennt, ist nicht einfach. Der Mensch lebt mit seinen Erinnerungen und die Erinnerungen sterben nie, Ich bin mir sicher: Erinnerungen bleiben, auch wenn man stirbt. Doch wenn die Erinnerungen wichtiger werden, als die Wünsche, die man ans Leben hat, dann fühlt sich das an, als wäre man gestorben. So geht es mir. Ich erinnere mich an meine Heimat. Ich denke sehr oft an mein Leben, das ich zurückgelassen habe.

Menschen kennenzulernen, ist nicht so einfach. Einige Leute, die ein gutes Aussehen haben, haben keinen guten Charakter. Ich finde, es ist egal, wie man aussieht, denn ohne einen guten Charakter ist man nichts.

Alles ist neu im neuen Land. Es gibt nicht viele Menschen, die mich verstehen. Dafür sind diejenigen, die mich verstehen umso wertvoller. Ein guter Teil des Lebens besteht darin, ein gutes Herz zu haben und ohne Groll zu leben. Frieden ist der beste Segen für die Menschheit. Nostalgie dagegen ist eine große Schwierigkeit in der Welt.

Nach einem für mich kurzen Augenblick war ich in einem anderen Land. Ich glaubte, das Spiel des Lebens zu kennen. Ich bin zwar kein vollkommen guter Mensch, aber ich versuche, ein guter Mensch zu sein.

Ich glaube, dass die ganze Menschheit auf der Erde eine Aufgabe hat. Wenn das Leben wie ein Spiel ist, dann müssen wir dieses Spiel auch spielen. Manche Straßen führen dabei bergab, trotzdem muss man sie gehen, um sein Ziel zu erreichen. Für mich ging es zunächst bergab, als ich in meiner Heimat ins Auto gestiegen bin und es losfuhr. Danach habe ich geweint. Die ganze lange Reise über habe ich geweint.

Obwohl es mir zurzeit nicht wirklich gut geht, möchte ich, dass alles gut ausgeht, und ich versuche, mich nicht zu ändern, sondern echt zu sein. Ich hoffe, ich werde ein guter Mensch sein, nicht nur für ein bestimmtes Land, sondern für die menschliche Gesellschaft. Meine Großmutter sagte immer, man müsse das Leben leben, solange man am Leben ist, ohne Angst vor der Vergangenheit und ohne sich um die Zukunft zu sorgen. Das versuche ich.

Ich heiße Maryam. Ich bin 15 Jahre alt und lebe seit neun Monaten in Deutschland. Seit zwei Monaten gehe ich in die Klasse 8B am Gymnasium Ohlstedt. Es dauert seine Zeit, aber alles wird gut.