Praktische Arbeit statt Frust im Unterricht: In Produktionsschulen in Hamburg werden Schwänzer zu Handwerkern. Mit Erfolg

Wer die Räume der Produktionsschule in Steilshoop besucht, kann einige ganz besonders gelungene Möbelstücke bereits bestaunen. Bequeme Lounge-Sessel und praktische Holzliegen, glänzende Sitzbänke und originelle Stand-Aschenbecher lagern in der Tischlerei und nebenan in der Metallwerkstatt am Fritz-Flinte-Ring. Echte Handarbeit, die bereits ihren begeisterten Abnehmer gefunden hat.

In einigen Wochen werden die hochwertigen Outdoor-Möbel von Gästen aus aller Welt benutzt. Wenn im Frühjahr das Luxushotel Holyday Inn in der City Nord eröffnet, werden Sessel und Bänke die Dachterrasse und den Innenhof verschönern. Statt einer Einrichtung aus Industriekatalogen setzt Hoteldirektor Bernd Mensing auf die sichtbar gelungenen Schülerarbeiten aus der Nachbarschaft. Ein Bündnis, das nur Gewinner kennt. Und wegweisend sein kann.

Max besucht die Produktionsschule seit vier Jahren. Der 18-Jährige hat auf der früheren Gesamtschule Horn nur bis zur 7. Klasse durchgehalten. Er erzählt vom Stress zu Hause, vom Mobbing in der Schule und von durchgezockten Nächten. Max sagt, er sei ein extremer Schulschwänzer gewesen. Ein Jugendlicher mit schulverweigernden Tendenzen, wie es im Behördendeutsch heißt.

Es gibt einige Hundert Schüler wie Max in Hamburg. Sie können nicht lernen, nicht lange konzentriert bleiben, nicht still zuhören. Aber viele haben handwerkliche Fähigkeiten und blühen auf, wenn sie praktisch arbeiten können. „Ich habe schon früher auf dem Campingplatz viel mit Holz gearbeitet“, sagt Max, „deswegen habe ich mich für die Tischlerei in der Produktionsschule entschieden.“

Es gibt mittlerweile acht Produktionsschulen mit aktuell 401 Plätzen in Hamburg. Im kommenden Schuljahr wird die Zahl um 80 Plätze erhöht. Vorrangiges Ziel ist es, den Jugendlichen, die mindestens 15 Jahre alt sein müssen, den Übergang in Ausbildung und Beschäftigung zu ermöglichen.

„Die Schüler sind, wenn sie zu uns kommen, oft antriebslos, haben zu nichts Lust oder sind auch rebellisch“, sagt Jens Stümpel, Schulleiter in Steilshoop. „Viele empfinden sich als Versager im normalen Schulsystem.“ Mit dem Begriff Schule sei bei den meisten nur Frust verbunden. „Wir sind dann so etwas wie die letzte Ausfahrt. Bei uns können die Schüler eine Art Auszeit nehmen, in der sie sich handwerklich orientieren und so wieder Erfolgserlebnisse bekommen können“, sagt Stümpel.

Die Produktionsschüler erhalten eine monatliche Leistungsprämie von 126 Euro, ihre Arbeitszeit beträgt 35 Stunden pro Woche. Es gibt Urlaubstage statt Schulferien, es wird gemeinsam gefrühstückt und Mittag gegessen. Sie treiben zusammen Sport. Boxen, Fußball oder Basketball. Die rund 60 Schüler, die in Steilshoop neben der Tisch­lerei und der Metallwerkstatt auch als Maler oder in der Gastronomie arbeiten, werden von ihren Anleitern außerdem intensiv bei der Berufswahl oder der Ausbildungsplatzsuche unterstützt.

Und das seit einigen Jahren mit gleichbleibendem Erfolg. Rund 45 Prozent der Schulabgänger wechseln von den Produktionsschulen in Hamburg regelmäßig direkt in eine Ausbildung oder eine Beschäftigung. Etwa 25 Prozent machen anschließend eine Berufsvorbereitung, knapp fünf Prozent besuchen eine weiterführende Schule. „Die Übergangszahlen in Ausbildung und Beschäftigung bestätigen, dass diese praktischen Erfahrungen und die intensive Begleitung durch Mentoren den Jugendlichen berufliche Perspektiven eröffnen, sie stabilisiert und motiviert“, sagt Peter Albrecht, Sprecher der Hamburger Schulbehörde.

Max gehört in Steilshoop zu den Älteren. Im kommenden Jahr will er seine Gesellenprüfung ablegen. Dafür ist es unabdingbar, dass er regelmäßig zur Berufsschule geht. Auch das fällt ihm immer noch schwer. Aber ohne Theorie geht es nicht. Max sagt, er habe das jetzt begriffen. „Irgendwann hat es bei mir im Kopf klick gemacht.“ Unterstützt wird er zu Hause von seinen Eltern und in der Schule von einer Sozialpädagogin und von seinen Meistern.

Andreas Krüger (51) bildet die Schüler seit knapp fünf Jahren in der Tisch­lerei aus. Schüler, die, wie er sagt, manchmal wenig bis gar keine Kenntnisse in Mathe oder in Deutsch haben. Die gerne praktisch arbeiten, aber plötzlich merken, wie viel theoretisches Wissen dazu gehört. „Max hat jetzt eingesehen, dass er ohne Wissen keinen Abschluss bekommt“, sagt Krüger. Das sei ein schwieriger Prozess mit zahlreichen Rückschlägen gewesen. Nun aber sei er sozusagen in der Spur. Max sagt auch den Jüngeren, wo es langgeht. Erklärt ihnen die Arbeit an Kreissäge und Hobel, Fräse und Kantenanleimmaschine, Langband- und Kantenschleifer.

„Max ist gut für uns – und wir sind auch gut für ihn, weil er hier jetzt Verantwortung übernimmt“, sagt Krüger. Max sagt, er erkläre den Jüngeren, wie wichtig es sei, nicht alles wegzuwerfen, den Hintern hochzukriegen und eine Sache einfach mal durchzuziehen, auch wenn man keine Lust dazu habe.

„Viele Menschen in unserer Gesellschaft bleiben heute auf der Strecke“, sagt Bernd Mensing. Er steht oben auf der Terrasse im 18. Stockwerk des fast fertigen Hotels. Der Blick geht weit über die Stadt. Mensing zeigt den Schülern die Baupläne vom Hotel. „Und viele Jugendliche brauchen eine zweite Chance. Die geben wir ihnen.“ Mensing sieht es als seine Pflicht an, sich als Hotel in der City Nord auch für Einrichtungen vor Ort zu engagieren.

80 Arbeitsplätze werden im Hotel entstehen. Zwei Azubi-Stellen hat Mensing für Schüler aus der Produktionsschule reserviert. Außerdem gibt es für die Produktionsschüler Aussichten auf Praktikumsplätze oder sogar Festanstellungen – wenn die Leistungsbereitschaft da ist. „Wie viele Schüler gehen bei Ihnen auf die Produktionsschule?“, fragt der Hoteldirektor am Ende der Baustellenbesichtigung. „62“, sagt Jens Stümpel. „Zur Hoteleröffnung“, verspricht Bernd Mensing, „werden alle 62 Schüler eingeladen.“