Hier schreibt ein Vater von zwei Kindern

Wir sind eine normale Familie. Läuft. Disziplin, Empathie, Einsicht – das sind unsere Werte. Streitigkeiten werden im Gespräch beigelegt, kurz: Bei uns gibt es keine Pubertät, weder bei Eltern noch bei den beiden Jungs. Diese komische Phase, über die andere Eltern ausdauernd klagen, ist vermutlich nur eine Ausrede, weil sie die Kontrolle über ihre Kinder verloren haben.

Pubertät ist einfach nur ein anderes Wort für mangelnde Konsequenz, nennen wir es ruhig Erziehungsversagen. Es ist doch normal, dass sich Hans mit seinen elf Jahren öfter mal zurückzieht. Dass dabei gelegentlich die Türen knallen, zeugt doch nur, dass er mit seiner Kraft nicht so gut umgehen kann. Er hat zwar hörbar „doof“ und „Papa“ gebrummelt, aber sicher nicht in einem Zusammenhang. Ausgeschlossen bei meinem Goldstück, das uns immer so schöne Bilder gemalt und so gern Adventsplätzchen ausgestochen hat.

Eine der gnädigsten Hirnfunktionen des Menschen ist das Vergessen, das bei mir deutlich stärker ausgeprägt ist als bei der Chefin. „Erinnere dich mal an Karl“, mahnt sie. Versuche ich ja. Aber das ist lange her. Der Große ist 22, da ist man doch erwachsen, also fast. Immer mit den großen Fragen des Lebens beschäftigt, aber mit den täglichen Sachen wie Schmutzwäsche leicht überfordert. „Und die Widerworte“, raunte Mona, „ein sicheres Zeichen.“ Aber bestimmt nicht für Pubertät. Die verdränge ich schon deswegen, weil ich an meine eigene nicht erinnert werden will. Meine Mutter hatte lachend geklagt, dass ich ein maulfauler Stinkstiefel gewesen sei, auf den nur in einem Punkt Verlass gewesen sei, immer das Gegenteil dessen zu tun, was meine Eltern anordneten. Ich nenne es lieber Wachstum. Wenn man die Pubertät ignoriert, ist sie auch nicht da.

Das Ignorieren fällt allerdings zunehmend schwerer. Neulich baute sich Hans vor mir auf: „Papa, ich habe dir schon 1000-mal gesagt, dass ich meine Schultasche alleine packen kann.“ Dabei hatte er mich wie einen begriffsstutzigen Waldschrat angeschaut. Ich hatte doch nur gefragt, ob Hefte und Stifte vollständig anwesend seien. Der Brief aus der Schule hatte nun mal „unvollständiges Arbeitsmaterial“ bemängelt. „Alle sind gegen mich“, greinte der Kleine plötzlich. „Stimmungsschwankungen …“, merkte die Chefin an. Unsinn, dachte ich. Ist doch schön, wenn Jungs Gefühle zeigen können. Leider öfter mal die falschen.

Eine Mischung aus Größenwahn und Selbstzweifeln kennzeichne die Pubertät, sagt das Internet. Ach was. Bei Politikern ist das normal. Die können doch nicht alle in der Pubertät sein. Obwohl: Beweist Horst Seehofer nicht täglich das Gegenteil? In einem Fachbuch fand ich die Einteilung in Tanner-Stadien. Vor fast 50 Jahren hat der britische Kinderarzt James Tanner das Fortschreiten der Pubertät anhand des Haarwuchses definiert. Tanner 1 ist an fast unsichtbarem Flaumhaar zu erkennen, Tanner 3 an dunklerem Kräuselhaar, Tanner 5 schließlich an festem Haar auf dem Oberschenkel. Unauffällig fahnde ich nach Haarwuchs an Hans, was nicht ganz leicht ist, da das Kind seinen unbefangenen Umgang mit Nacktheit abgelegt hat. Neulich wollte er mit Badehose in die Wanne. Die Chefin grinste wieder mal besserwisserisch. „Hast du gekräuselte Haare am Oberschenkel?“, frage ich, weil wir Männer über so was offen reden können. Hans guckt gar nicht erst nach, schüttelte aber den Kopf. Beim Frühstück inspiziere ich seine Oberlippe. Die Milchtropfen vom Müsli sammeln sich definitiv in Flaumartigem, auch wenn die Zahnpastareste eine aussagekräftige Diagnose erschweren. Von Bartwuchs jedenfalls keine Spur. Definitiv frühes Tanner 1, was eine ebenso gute (puuh, dauert zum Glück noch) wie schlechte (uff, dauert leider noch) Nachricht bedeutet.