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ir sind eine tolerante Familie. Wir Eltern drücken gern ein Auge zu, dafür erwarten wir Offenheit. Als Vertreter der Generation Ententanz möchten wir eben wissen, was bei den jungen Leuten so angesagt ist, auch im Nachtleben.

Neulich, als ich ungewohnt pflichtbewusst sehr früh aufstand, hörte ich ein Schaben an der Wohnungstür. Ein Waschbär? FDP-Wahlwerber auf ihrem letzten Kreuzzug? Nein, es war Karl, der das Schlüsselloch suchte. „Moin Paps“, sagte unser großer Sohn aufgekratzt. „Frühsport?“, fragte ich. „Eher Spätsport“, antwortete das Kind und trottete in jenes Zimmer, das wir „die Höhle“ nennen. Er wolle wirklich bald in eine Studenten-WG ziehen, hatte Karl mehrfach versichert, was aber nicht leicht ist in einer Stadt, wo alles gebremst wird außer den Mietpreisen.

Was mein großer Sohn kann, kann ich auch

Zwölf Stunden später traf ich Karl vor dem Kühlschrank. „Neue Freundin?“, fragte ich. „Neuer Club“ antwortete Karl. Aha. Und da muss man bis sechs Uhr morgens bleiben? Er sei als einer der Ersten gegangen, beteuerte er, und prima Porno-Karaoke erlebt. Was? Ganz einfach, sagte der Große: Erotikfilme der 80er-Jahre werden ohne Ton gezeigt, die Gäste liefern den Ton live. Klingt interessant. „Und, waren alle sternhagelstramm?“, fragte ich besorgt. Nö, erklärt der Sohn, Alkoholisches sei abgesagt. Wenn überhaupt, würde privat vorgeglüht, mit Discounter-Spirituosen. Der Eintritt sei teuer genug. Ein Musterjunge, der Lebensfreude und Bescheidenheit zu kombinieren weiß.

Was denn der junge Mensch sonst noch so treibe die ganze Nacht, wollte ich wissen. Der Junge hob die Schultern: „Nichts Besonderes, tanzen, quatschen, abhängen.“ Genau mein Ding.

Der Blick der Chefin verhieß Zweifel an meiner Zurechnungsfähigkeit, als ich vorschlug, mal wieder auszugehen, so richtig, bis die Wolken wieder lila sind. Was mein großer Sohn kann, das schaffe ich auch. Es musste ja nicht gleich das „Berghain“ sein. Eher was aus der Mittelklasse, wo die Gorillas am Einlass die Lebenserfahrung und Solvenz der Gäste zu würdigen wissen.

Die Chefin sagte ihr Mitkommen zu, sie müsse nur vorher noch was Fetziges erwerben. Pah, brauche ich nicht. Jeans und Karohemd sind von zeitloser Szenehaftigkeit.

Als ich Milli Vanilli bestellte, lachte der DJ nett

Unser erster Ausflug ins Nachtleben geriet leider zum Flop. Vor Mitternacht dürfe man auf keinen Fall los, hatten wir in einem Szene-Blog gelesen. Das Pro­blem für zeitweilig Berufstätige: Wie wach bleiben? Wir spielten erst Mau Mau, guckten dann ein wenig „House of Cards“, bis die Chefin schließlich befahl: „Wir dösen ein Weilchen.“ Als ich um kurz nach vier auf dem Sofa erwachte, fühlte ich mich nicht mehr so nach Piste.

Ein Wochenende später hatte ich mich mit Espresso satt in John-Travolta-Form gedopt. Das lebhafte Szene-Schwarz der Chefin würde jeden Türsteher auf die Knie zwingen. Ich regis­trierte gleichwohl nervöses Beben: Was, wenn wir nicht reinkommen? Was, wenn mich keiner zum Tanz auffordert? Würden uns die jungen Menschen für Zivilfahnder halten? Um kurz nach Mitternacht hatten wir die Lasterhöhle erreicht. Komisch. Keine Schlange. Der Türmann musterte die Chefin wohlwollend, mich nicht und winkte uns wortlos durch.

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Tja, der Mann erkennt Pistenprofis. Drinnen war es, nun ja, eher ruhig. Das Personal schleppte Kästen, man plauderte, der DJ war eher experimentell unterwegs. Als ich Milli Vanilli bestellte, lachte er sehr nett. Ich hatte gelesen, dass man heutzutage Mate-Limo mit Wodka trinkt. Geht so. Zartbitteres Aufstoßen. Wir taten, als ob es für uns selbstverständlich sei, nachts durch menschenleere Katakomben zu schnüren. Sehr langsam tröpfelten einige junge Menschen ein. Von Porno-Karaoke keine Spur. Als wir das Eta­blissement um zwei Uhr verließen, hatte sich draußen eine Schlange gebildet. Sieht aus, als ob die Kinder warten, bis die Eltern wieder weg sind. Aber nicht mit uns, Sportsfreunde. Wir kommen wieder.