Das Drama „Jackie“ erzählt vom Tod John F. Kennedys aus Sicht seiner Frau – großes Kino

Wer begreifen will, wie sehr bis heute der Kennedy-Mythos die USA prägt, der musste sich nur Melania Trumps Kleid zur Amtseinführung ihres Mannes vor wenigen Tagen anschauen. Es war ein Zitat eines Kleides der ehemaligen First Lady Jacqueline Kennedy. Die hatte am 20. Januar 1961, bei der Inauguration ihres Mannes John Fitzgerald, dasselbe verschossene Babyblau getragen. Melanie Trump benutzte dieses Kleider-Zitat, um Aufbruch zu vermitteln. Die neue Trump-Ära. Make America great again.

Das nur vorweg, um zu verdeutlichen, wie tief die Sehnsucht nach dem Präsidenten Kennedy noch wurzelt, der das Land – zusammen mit der stilvollen Ehefrau Jacqueline – in 1000 Tagen Regierungszeit scheinbar über Nacht verjüngte, und der so tragisch ermordet wurde. Der Film „Jackie“ kreist nun um diesen Mythos Kennedy. Im Zentrum steht das Attentat in Dallas 1963, aber auch die Tage danach. Bilder und Fotos, die wir aus Zeitschriften und Dokumentarfilmen kennen, werden weitergesponnen, verweben sich zu einem Ablauf der Ereignisse. Wie erging es Jackie im Auto, unmittelbar nach dem Attentat? Was spielte sich in der Präsidentenmaschine auf dem Rückflug nach Washington D.C. ab, in der Lyndon B. Johnson zum neuen Präsidenten vereidigt wurde und in der man gleichzeitig den Sarg mit dem toten Kennedy transportierte? Die Witwe, um sie dreht sich der ganze Film. Sie, die sich auf dem Flug weigert, frische Kleidung anzuziehen, obwohl die Blutspuren auf dem rosa Chanel-Kostüm unübersehbar waren.

Dies ist ein Film, also eine Fiktion – und doch spielt „Jackie“ mit der historischen Genauigkeit, soweit wir sie kennen. Das gilt nicht nur für einzelne Szenen und Dialoge. Das gilt auch für Hauptdarstellerin Natalie Portman. Sie hat die Bilder und Tonaufnahmen von Jacqueline Kennedy genau studiert, ihre Bewegungen, ihr Lächeln, ihre Zurückhaltung – und ihren ganz eigenen südlichen Singsang.

Man würde dem Film allerdings Unrecht tun, wenn man ihn nur auf das Dokumentarische reduziert. Hier wird großes Kino geboten. Denn der chilenische Regisseur Pablo Larrain, der nun auch für Hollywood arbeitet, schafft eindring­liche Bilder, die gleichzeitig die Verlorenheit, aber auch Entschlossenheit Jacqueline Kennedys verdeutlichen. Und klarmachen, wie entschieden Jackie von Beginn an die Idee verfolgte, aus der Präsidentschaft ihres Mannes einen Mythos zu machen. Sie wollte auch mit der Inszenierung seiner Beerdigung Geschichte schreiben. Mit den unvergesslichen Bildern, etwa wie sie mit Tochter Caroline am Sarg stand. Oder wie der kleine John F. Kennedy jr. beim Begräbnis den vorbeimarschierenden Soldaten salutierte. Wir kennen die Bilder alle.

Der Film zeigt die Tragik einer Frau und Mutter, die gerade auf grausame, ja traumatisierende Art ihren Mann verloren hat. Und die sich gleichzeitig aus dem Schmerz rettet, weil sie eine First Lady ist – und somit ihre Trauer nicht mehr privat bleibt. Vier Tage nach der Beerdigung trifft sie den „Life“-Journalisten Theodore H. White auf dem Feriensitz der Kennedys in Hyannis Port. Dieses Treffen, das es wirklich gab, ist die Rahmenhandlung des Films. Aus dem Gespräch zwischen Journalist und First Witwe entsteht ein sehr kurzer, aber prägender Essay. Tenor: In der Amtszeit von Kennedy sei das Weiße Haus ein Camelot gewesen, angelehnt an die Legende von König Arthur. Ein Ort, so wunderbar und mächtig, dass er in die ganze Welt hinausstrahlte. America First – auf eine verführerische Art und Weise.

„Jackie“ USA/CHI 2016, 100 Min., ab 12 J.,
R: Pablo Larraín, D: Natalie Portman, Peter
Sarsgaard, Greta Gerwig, täglich im Abaton (OmU), Passage; tobis.de/film/jackie