Das Verlangen, sich selbst zu sehen, löst einen unwiderstehlichen, nicht immer gesunden Sog im Menschen aus. In Narziss weckte er etwa seine tragische Selbstsucht, in van Gogh löste er den Drang aus, sich auch mal ohne Ohr zu malen. Folglich ist auch die Geschichte des Selbstporträts fast so lang wie das Eröffnungsprogramm der Elbphilharmonie. Und damit sind wir beim Thema. Denn das Selbstbildnis, vergleiche: Selfie, hat mit der Premiere im Konzerthaus eine weitere Spielart bekommen: das Selfie mit Elphi.

Nachdem eine große deutsche Tageszeitung ihre Leser schon vor Tagen zur Fotografie mit Philharmonie („Elphi-Selfie“) aufgerufen hatte, ziehen nun immer mehr Menschen nach, und zwar mit Exklusivitätssteigerung, dem Sefie in der Elphi. Im Internet stapeln sich schon die frontalen Gesichtsaufnahmen aus dem Großen Saal. Mit dabei: ungefähr sämtliche Gäste des Eröffnungsabends, also alle drei Millionen Medienschaffenden und mindestens 400 von 121 Bürgerschaftsabgeordneten. Sujet der Bilder: ich davor, ich auf der Rolltreppe, ich auf der Plaza, ich vor dem Großen Saal, ich im Großen Saal, ich auf der Toilette, ich mit … Entschuldigung, wer sind sie noch gleich? Gern genommene Botschaften: Ich hab das Ding schließlich bezahlt (steuerpflichtig Beschäftigte). Ich hab das Ding schließlich gebaut (Politiker).

Von den 285 Millionen Selfies, die das Fotonetzwerk Instagram aktuell zählt, dürfte die Hälfte am Kehrwieder entstanden sein. Eine Bilanz, die hoffen lässt. Bislang sind Disneyland, Eiffelturm und der Rote Platz die meistfotografierten Selfie-Hintergründe. Aber jetzt ist unsere Stadt so was von auf dem Vormarsch in der Kategorie „Selfiest City“. Wir dürfen jetzt nur nicht nachlassen. Deshalb sind ab sofort ein Selfie mit dem Erwerb einer Eintrittskarte verpflichtend und Konzertgäste angewiesen, den Selfieweisungen des Personals Folge zu leisten. Zuwiderhandlungen werden mit zweimonatigem Hausverbot oder Wolfgang Rihm, gesungen vom Knabenchor Bad Bevensen, nicht unter fünf Stunden bestraft.