Klassiker neu gesehen mit Schillers „Wallenstein“ von Michael Thalheimer und Brechts „Mutter Courage“ von Philipp Becker

Das Lessingtage-Festival ist am Thalia Theater auch immer die Chance, interdisziplinär arbeitende Künstler zu entdecken. Gleichwohl muss niemand auf die ganz großen Klassiker-Entwürfe verzichten. In diesem Jahr gastiert Michael Thalheimer, in Hamburg bestens bekannt durch seine Arbeiten am Thalia der Khuon-Ära und mittlerweile auch als Opernregisseur. Er reist mit einer gewaltigen Version von Friedrich Schillers „Wallenstein“ von der Schaubühne Berlin an.

Der thematische Bezug zum Festival liegt in der Zeit verortet. Der katholische Kaiser Ferdinand II. liegt gegen die Schweden im Krieg. Im Winter 1633, fast 16 Jahre nach Beginn der Auseinandersetzungen, die 30 Jahre dauern sollten, kämpft Wallenstein für den Kaiser, doch befolgt er zunehmend Befehle nicht und verhandelt heimlich mit den Schweden, um den Frieden zu erzwingen. Nicht alle seine Truppen folgen ihm darin. Die Verschwörung fliegt auf. Private Verstrickungen nehmen zu mit tödlichem Ende.

Thalheimer gilt als König der Klassikdestillierer, dennoch dauert auch sein wie immer klug gekürzter Wallenstein drei Stunden. Der von Ingo Hülsmann gespielte Feldherr taucht lange nicht auf in diesem spannungsreichen, dunklen Werk. Die Musik Bert Wredes sorgt für Gänsehautmomente. Bühnenbildner Olaf Altmann hat einen Raum errichtet, der den Charakter des Unausweichlichen des Schicksals der Beteiligten betont. Und es zeigt sich, dass die Politik ein schmutziges Geschäft bleibt und mit den schlechten Mitteln des Krieges kein guter Friede zu erzwingen ist.

In der gleichen Zeit, zu der Wallenstein sein Lager aufschlägt, ziehen auch Bertolt Brechts „Mutter Courage und ihre Kinder“ durch das Europa des 30-jährigen Krieges. Eine einfache Frau aus dem Volk, reist sie durch Schweden, Polen, Mähren, Bayern und Italien, als lebendes Fanal gegen den Krieg. Sie will von ihm profitieren und muss erfahren, dass er ihr alles nehmen wird. Die grandiose Gabriela Maria Schmeide spielt diese Traumrolle in der Regie von Philipp Becker, der erstmals am Thalia Theater inszeniert.

Der 1979 geborene Becker, Absolvent der Otto-Falckenberg-Schule in München, ist sowohl für Klassikerinszenierungen bekannt als auch als Initiator ­ungewöhnlicher Projekte. „Der Weltenbrand entsteht als Krieg der Konfessionen, aber es spielen wie immer auch andere Interessen mit hinein“, sagt Philipp Becker. „Dies und die Fabel, die Brecht Ende der 1930er-Jahre benutzte, um sich seine Lebenswirklichkeit zu beweisen, sind heute noch extrem erzählbar.“

Die Figur der Mutter Courage glaubt das System, die Art und Weise, wie ihre Welt funktioniert, zu durchschauen. Sie ist eine begnadete Händlerin, und sie handelt mit allen, egal wie nah der Brand rückt. „Auch wir wissen, wer unser Telefon zusammenschraubt und dass unsere Freiheit die anderer maßgeblich einschränkt, aber die Erkenntnis führt nicht dazu, dass wir die Welt besser machen“, so Becker. Die Welt der Mutter Courage ist unübersichtlich und chaotisch. Im Krieg gibt es eben kein oben und unten mehr, kein vorne und hinten. Die verbindliche Ordnung ist zusammengebrochen. „Jenseits des Lehrstücks sind auch die Figuren sehr bewegend und komplex. Uneindeutig im besten Sinne.“ Am Ende verliert die geschäftstüchtige Mutter Cou­rage ihre drei Kinder an das System.

Philipp Becker, der 2014 den ersten BKM-Preis für kulturelle Bildung von Monika Grütters für „Ein Dorf im Widerstand“ (2012) mit 150 Beteiligten erhielt, hat Erfahrung mit großen Ensembles und Laien auf der Bühne. 40 Choristen werden anstelle des Wagens der Marketenderin auf der Bühne stehen. Die von Johannes Hoffmann arrangierte Paul-Dessau-Musik wird an neuralgischen Stellen von Chorälen ergänzt.

„Mutter Courage und ihre Kinder“ 27.1./28.1., jew. 20.00, weitere Termine 6.2., 7.2., 18.2., jew. 20.00, 19.2., 15.00, 4.3., 20.00, Thalia Theater, Alstertor;
„Wallenstein“
31.1., 19.30, 1.2., 18.00, Thalia Theater, Alstertor, Karten jew. 10 bis 52 Euro unter T. 32 81 44 44; www.thalia-theater.de