Dokumentationszentrum „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ im Deutschlandhaus wird 15 Millionen teurer und zwei Jahre später fertig

Grauer Himmel, grauer Beton und graue Stimmung: Das Richtfest für die Umgestaltung und Erweiterung des Deutschlandhauses an der Ecke Stresemann- und Anhalter Straße in Kreuzberg am Montag war für die Beteiligten nicht nur Grund zur Freude. „Der schwierige Baugrund und fehlende Stützen im Altbau haben Zeit und Geld gekostet“, musste Petra Wesseler, Präsidentin des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung (BBR) den rund 200 Gästen des Festaktes anlässlich der Fertigstellung des Rohbaus für das neue Dokumentationszentrum der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung mitteilen. Verheimlichen ließen sich die Schwierigkeiten ohnehin nicht: Ursprünglich sollte das Zentrum 2016 eröffnet werden. Nun stellte Wesseler die Fertigstellung und Übergabe an die Nutzer für das Jahr 2018 in Aussicht.

Nicht nur der Zeitverzug, auch die Kostensteigerung ist erheblich: Statt der ursprünglich veranschlagten 37,6 Millionen Euro, so Wesseler am Rande des Festaktes, werde jetzt mit Mehrkosten von 15,3 Millionen Euro und damit insgesamt knapp 53 Millionen Euro gerechnet. „Die zusätzlichen Kosten sind nicht auf Planungsänderungen der Stiftung zurückzuführen“, betonte Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) in ihrer Rede. Die Stiftung sei Mieterin des Gebäudes und werde mit einem Flächenanteil von rund 40 Prozent den kleineren Teil des Hauses belegen.

Zwei der vier Gebäudeseiten bleiben erhalten

Mit dem Umbau des Deutschlandhauses war 2013 begonnen worden. Nach den Plänen des österreichischen Büros Marte.Marte Architekten wurde das von 1926 bis 1935 im Stil der Neuen Sachlichkeit errichtete Gebäude am Anhalter Bahnhof weitgehend entkernt und Anbauten aus den 60er-Jahren abgerissen. Erhalten blieben zwei der vier Gebäudeseiten des alten Deutschlandhauses – jene denkmalgeschützten Fassaden, die von der Stresemann- und von der Anhalter Straße her zu sehen sind. Das Deutschlandhaus ist Teil des Gebäudekomplexes Stresemannstraße 90–94, zu dem auch das angrenzende Europahaus gehört. In der Vorkriegszeit beherbergte das Gebäudeensemble neben Geschäften zahlreiche Restaurants, ein Kino und ein Varietétheater.

Nach dem Krieg wurde der durch Bombentreffer beschädigte Komplex saniert und erweitert. Als „Haus der ostdeutschen Heimat“ war es fortan ein Begegnungsort für Vertriebene. 1974 wurde die Stiftung Deutschlandhaus gegründet und das Haus nach ihr benannt. 1999 wurde die Stiftung Deutschlandhaus aufgelöst und das Gebäude seitdem von unterschiedlichen Mietern genutzt. Das benachbarte Hochhaus behielt den Namen Europahaus bei und ist heute Sitz des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit.

Ausstellungsgebäude, Bibliothek und Lesesaal

„Nach starken Beschädigungen im Zweiten Weltkrieg wurde das Gebäude 1960 nach damaligem Standard und mit den damals zur Verfügung stehenden Mitteln wieder aufgebaut“, sagte Wesseler. Stützträger fehlten teilweise ganz, andere waren stark verrostet, zudem fanden sich im Untergrund die Fundamentreste des Vorgängerbaus, die damals nicht beseitigt worden waren. In diese bestehen gebliebenen Gebäudeteile haben die Österreicher einen modernen Ausstellungskomplex aus Sichtbeton integriert, zwei der vier Gebäudeseiten des alten Deutschlandhauses erhalten, und zwar jene denkmalgeschützten Teile, die von der Stresemann- und von der Anhalter Straße her zu sehen sind.

In diese Gebäudeteile wird ein moderner, hochfunktionaler Museumskubus integriert, der sich mit zwei riesigen Fenstern zum angrenzenden Areal der „Topographie des Terrors“ öffnet. Rund 3000 Quadratmeter sollen für eine Dauerausstellung, Wechselausstellungen, einen öffentlichen Lesesaal mit Bibliothek, Archiv und Zeitzeugenberichten sowie Veranstaltungen, pädagogische Angebote und einen Raum der Stille für das individuelle Gedenken zur Verfügung stehen.

Auftrag der Stiftung ist „von großer erinnerungspolitischer Bedeutung“

Mit dem Richtfest des Deutschlandhauses erreiche die Stiftung einen weiteren wichtigen Meilenstein, sagte Bundeskulturstaatsministerin Monika Grütters. Es sei ihr ein großes Anliegen, den Bau weiter voranzutreiben. Der Auftrag der Stiftung sei von großer erinnerungspolitischer Bedeutung. „Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit im europäischen Rahmen und mit Respekt für die Perspektive der Anderen“ sei darüber hinaus maßgeblicher Beitrag zu Versöhnung und Verständigung, sagte Grütters.

Die Bundesstiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung wurde Ende 2008 gegründet. Träger ist das Deutsche Historische Museum in Berlin. Zweck der Stiftung ist es, das Gedenken an Flucht und Vertreibung im 20. Jahrhundert wachzuhalten und zur Versöhnung beizutragen. In der Vergangenheit gab es im Stiftungsrat immer wieder Auseinandersetzungen über die Ausrichtung der Stiftung. Erst im Februar dieses Jahres wurde die Direktorin für das Dokumentationszentrum berufen. Gundula Bavendamm, seit 2010 Direktorin des Alliiertenmuseums, hat es sich zur Aufgabe gemacht „Zwangsmigrationen, Vertreibungen und Flucht als historische und gegenwärtige Phänomene an diesem Ort in der Mitte der Gesellschaft zu verhandeln.“