Berlin.

Wer etwas über die Beziehung von Mensch und Haustier lernen möchte, sollte sich auf einem Tierfriedhof umsehen, sagt Winfried Speitkamp. „Sehen Sie sich die Inschriften an“, sagt der Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Kassel und Leiter des Forschungsschwerpunktes „Tier-Mensch-Gesellschaft“. „Es ist von Kameradschaft und Treue die Rede, von einer Welt, die es nach Meinung vieler so heute nicht mehr gibt.“

Das Tier ist in den Jahrtausenden des Zusammenlebens an den Menschen herangerückt: An seine Seite als zuverlässiger Partner, in sein Haus als Spielgefährte, schließlich in seine Familie als fast vollwertiges Mitglied. Heute ist der Markt für Heimtiere gigantisch: Etwa 35 Millionen Tiere lebten 2015 in deutschen Haushalten. Im Jahr 2013 lagen die Ausgaben für Heimtierbedarf bei knapp vier Milliarden Euro. Auch zum heutigen Welthundetag werden wieder unzählige Geschenke über die Ladentheke gehen.

Diese Entwicklung beschäftigt mittlerweile auch Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen. „Das ist gesellschaftlich ein hochrelevantes Thema, weil jeder direkten oder indirekten Kontakt zu Tieren hat. Zu Hause oder auf dem Teller“, sagt Julia Gutjahr, Diplom-Soziologin an der Universität Hamburg und Mitglied der ersten soziologischen Forschungsgruppe, die sich mit der Beziehung von Mensch und Tier beschäftigt.

Zahlreiche positive Effekte durch Haustiere

Die Forschung hat viel über das Verhältnis von Mensch zu Haustier herausgefunden. „Die Liste der positiven Effekte, die ein Tier auf Menschen hat, ist lang“, sagt Andrea Beetz, Verhaltensbiologin und Sonderpädagogin an den Universitäten Rostock und Wien. So fördern sie etwa die Kommunikation und Interaktion unter Menschen. „Ist zum Beispiel ein Hund mit im Raum, wird in einer Gruppe mehr geredet und gelächelt“, erklärt Beetz. In Familien, in denen ein Hund lebt, werde mehr miteinander unternommen, und alle gehen achtsamer miteinander um. „Kinder, die schlecht lesen können, sind zum Beispiel auch konzentrierter, wenn ein Hund daneben liegt.“

Viele Eltern versprechen sich von einem Haustier einen pädagogischen Effekt. „Sie steigern die Empathiefähigkeit und das Verantwortungsbewusstsein“, erklärt Beetz. Kinder lernen, sich auf jemanden einzustellen – und das Tier ist ihnen ein Freund, vielleicht auch in Lebensphasen, in denen Eltern nicht die ersten Ansprechpartner bei Problemen sind.

Studien haben außerdem ergeben, dass die Anwesenheit von Tieren Depressivität, Schmerzwahrnehmung, Aggressivität und Ängste reduzieren kann. Dass sie Entspannung fördern und Stresssituationen abpuffern kann. Ursache für viele der nachgewiesenen Effekte ist das Oxytocin. Dieses Bindungshormon, das Babys etwa ausschütten, wenn sie gestillt werden, spielt auch in der Mensch-Tier-Beziehung eine entscheidende Rolle. Fängt ein Hundehalter den Blick seines Tieres auf, steigt im Körper der Oxytocin-Gehalt, wie japanische Wissenschaftler herausfanden. Auch umgekehrt wird durch den Augenkontakt beim Hund mehr von dem Bindungshormon freigesetzt. Die Forscher vermuten, dass das die tiefe Bindung von Hund und Mensch über Artgrenzen hinweg ermöglicht.

Auch Streicheln wirkt sich positiv aus. „Studien zeigen, dass zum Beispiel das Cortisol-Level sinkt, wenn wir ein Tier streicheln“, erklärt Beetz. Cortisol ist ein Hormon, das vermehrt bei Stress ausgeschüttet wird. Auch der Blutdruck kann sinken und das Immunsystem gestärkt werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob wir Hund, Katze oder Kaninchen streicheln. „Wichtig ist nur, dass man die Tierart mag. Dann reichen schon fünf Minuten aus“, sagt Biologin Beetz.

Die Motive, aus denen heraus sich Menschen für ein Haustier entscheiden, sind sehr unterschiedlich. Die wissenschaftlichen Hypothesen dazu auch. Sie drehen sich um Empathie, Dominanz, Sich-kümmern-Wollen oder schlicht Status. „Es könnte bei der Haltung von Haustieren darum gehen, eine Beziehung aufzubauen zu Wesen, die für uns nicht ganz verfügbar sind. Die für eine andere Welt stehen, die Natur“, sagt Winfried Speitkamp. Beetz stimmt zu: „Unser Bedürfnis nach Kontakt mit der Natur wird immer größer. Tiere sind Natur.“

Unumstritten ist: Menschen besitzen eine evolutionär angelegte Affinität zu anderen Lebewesen, die sogenannte Biophilie. Dabei ist die Beziehung zu einem Tier bedingungslos, gesellschaftliche Normen treten in den Hintergrund. „Die individuelle Mensch-Tier-Beziehung ist meist sehr beständig. Soziale Schicht, Bildung, Behinderung oder Aussehen sind weniger relevant“, so Gutjahr. Die Soziologin macht jedoch auf die Ambivalenz aufmerksam: „Bestimmte Tiere nimmt der Mensch in seine Familie auf, andere schließt er aus und tut ihnen Gewalt an.“ Dieser Widerspruch im Mensch-Tier-Verhältnis wird ihrer Ansicht nach eine der zentralen Debatten unserer Zeit werden.