Anderssein ist gewöhnungsbedürftig – doch wir sollten die Vielfalt in unserer Gesellschaft genießen.

Neulich sah ich ein Programm des Kabarettisten Jochen Malmsheimer, der sich über einschneidende Erlebnisse in einem Waldorfkindergarten mokierte. Das sind die, „die rechte Winkel scheiße finden“, erläuterte er. Schon der Klingelknopf bestand aus „mundgepunzter Terrakotta“, und die anwesenden Elternaspiranten sollten etwas aus Märchenwolle zupfen. Malmsheimer sagte, er habe zuerst Bechstein-Kolibris gezupft und wollte außerdem noch einen Verrechnungsscheck, ein Uno-Gebäude, eine Bohnensuppe und einen Wanderführer zupfen, habe die Versammlung aber vorher verlassen. Das Kind ging dann in einen anderen Kindergarten. Der Saal lachte herzlich.

Es gibt viele Gruppen, die bei uns gern der Heiterkeit anheimfallen. Esoteriker etwa, die sich am besten aufrecht stehend in einer Klangschale erden, oder Leute, die sich bis zum Kinn tätowieren lassen, weil sie nur so „ihre Identität fühlen“ können, oder Menschen mit festgefrorenem Erweckungsgrinsen in manchen Freikirchen. Aber mir fällt schon auf, wie oft es gerade die Anthroposophen trifft. In den Berichten tragen die Frauen immer wallende, erdfarbene Gewänder und lächeln aus milden Melkerinnengesichtern, die Männer machen Zwölftonmusik für vegane Kinder und wissen, wie man den Namen „Malte“ tanzt. Höhepunkt ist häufig Robert Gernhardts Gedicht: „Kafka sprach zu Rudolf Steiner: / ,Von euch Jungs versteht mich keiner!‘/ Darauf sagte Steiner: ,Franz, / ich versteh dich voll und ganz!‘“

Sicher, an Steiners Lehre war vieles gewöhnungsbedürftig. Ich muss auch zugeben, dass mein allererster Kontakt mit einer Steiner-Anhängerin eher ungünstig verlief. Die Nachbarin meiner Großeltern, die (tatsächlich!) selbst gewebte, erdfarbene Gewänder und Zöpfe trug, züchtete auf ihrer Fensterbank verschiedenartige Salatsprossen und bereitete daraus ein „gesundes Schimmelmüsli“, das sie meiner Großmutter strahlend anbot.

Raten Sie mal, wer das Müsli probieren sollte. An den Geschmack, eben schimmelig, erinnere ich mich heute noch. Immerhin habe ich überlebt, Kinder sind ja widerstandsfähiger, als man glaubt.

Aber wir wollen fair sein. Steiner (1861–1925) war eine der schillerndsten Persönlichkeiten, die die Umbruchszeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts hervorgebracht hat. Einer, der die ­obrigkeitlich-kaiserliche Schule verabscheute, stattdessen vom Karma und Weltseele sprach und neue Ideen für Agrikultur und Medizin entwickelte. Die Eurythmie, an Waldorfschulen Pflichtfach bis zum Abschluss, bezeichnete er als „sichtbaren Gesang“ und „Offenbarung der sprechenden Seele“, mit der sich Buchstaben, aber auch Farben und Töne in Bewegungen umsetzen lassen.

Inzwischen hat sich die Waldorf-Pädagogik genauso weiterentwickelt wie andere pädagogische Schulen. Von manchen Prägungen löst sie sich offenbar aber nur schwer. Auch wir haben vor der Einschulung unserer Tochter mal einen Waldorfschul-Eltern-Schnupperabend besucht. Geleitet wurde er von einer Dame in farbenfrohem, wallendem Gelb mit einem gebatikten Stirnband. Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass die Schulkantine keine Schimmelmüsli ausgab, gefielen mir einige ihrer Thesen sehr gut. Das Bildungssystem sei heute rein ökonomisch ausgerichtet, sagte sie; dieser „Standardisierung“ wolle die Waldorfschule mit besonderer kreativer, musischer und handwerklicher Entfaltung entgegenwirken. Lustig war, dass währenddessen ein Gandalf in Gesundheitssandalen herumging, der aussah, als gebrauchte er Wörter wie „fürwahr“, und Holundertee anbot.

Inzwischen habe ich etliche Waldorf-Absolventen kennengelernt, die allesamt kenntnisreiche, kluge und kreative Menschen sind. Manchmal denke ich: Was für ein Glück, dass wir in unserer Geschichte nicht nur Mainstream-Ideen hervorgebracht haben, sondern auch Erfinder, Reformer und Sonderlinge.

Statt uns wie die Wölfe auf „Abweichler“ zu stürzen, sollten wir diese Vielfalt doch begrüßen. Und auch ein bisschen stolz darauf sein.