Lauren Groff kreuzt in „Licht und Zorn“ einen Liebesroman mit einem Psychogramm

Lottos Charme ist unermesslich. Alle, ja wirklich alle Mädchen wollen ihn, er ist der strahlende Mittelpunkt jeder Party, und in seiner Bacchus-haften Unbekümmertheit ist er grundehrlich entzückt von jeder, mit der er schläft. Doch dann, auf der College-Abschluss-Party, steht plötzlich Mathilde in der Tür. Die Unnahbare, von der niemand etwas weiß. Lotto ist wie vom Blitz getroffen und verliebt sich augenblicklich in sie. So weit, so schön. Lauren Groffs Roman „Licht und Zorn“, humorvoll und feinsinnig übersetzt von Stefanie Jacobs, führt diese Amour fou bis in die Ehe. Doch statt sie nach und nach dem Verfall der Gewohnheit preiszugeben, lässt sie sie über alle Klippen triumphieren. Das Band, das Lotto und Mathilde zusammengehalten habe, sei im Wesentlichen Sex gewesen, resümiert Groff später. Und über Sex, oder besser über Sinnlichkeit, Geruch, Lust, Körper, Flirt, kann sie sehr gut schreiben. Und über den Zusammenhalt in einer ungleichen Beziehung, innerhalb derer jeder einen eigenen inneren Raum bewahrt. Was sie aber ebenso kann, ist, die Liebe in Worte zu kleiden, die Kraft, Chuzpe und Zerbrechlichkeit ihrer Figuren.

Das lineare Zeitgerüst bricht Lauren Groff auf und kommt dadurch dem wahren Wesen, dem Lebensgefühl der Figuren näher als durch eine konventionelle Erzählung, die vielleicht ein paar Rückblicke enthält. Die eigenen tiefsten Urängste und Rettungsanker drängen sich mit Macht in die Gegenwart. Sie stehen plötzlich da, als Zeitsprünge im Bewusstsein vergangener traumatischer Erlebnisse. Mathilde, die Lichtgestalt, muss vieles verscheuchen, Bilder, Gefühle tauchen aus den Untiefen alter Erinnerungen auf, und schnell macht sie mit krachtrockenem Humor einen forschen Spruch. Groff ist eine Seelenkennerin, und sie liebt Menschen.

Die Autorin kennt viel Weltliteratur: „Ich las die ,Ilias‘, und eines der schönen Dinge in diesem Stück Literatur ist, dass es darin unterschiedliche Erzähl-Standpunkte gibt. Sehr nahe, tiefe, beinahe üppige Strukturen, und dann wieder Momente, in denen Homer herausschießt und alles aus gottähnlicher Perspektive sieht“, sagte die Autorin dem „Guardian“. Auch gibt sie unumwunden zu, dass sie die Idee, die Geschichte in zwei Teilen zu erzählen, einmal über Lotto und einmal über Mathilde, bei Virginia Woolf geklaut habe, aus ihrem ziemlich psychoanalytischen, großartigen Buch „Zum Leuchtturm“.

Lotto „wusste“ über Mathilde „dass sie der reinste Mensch war, dem er je begegnet war“. Freunde wetten auf das schnelle Ende dieser Verbindung. Nur aufs Geld habe Mathilde es abgesehen. Der privilegierte Lotto werde sie bald überhaben. Aber seine Mutter dreht den Geldhahn ab, Mathilde rackert sich ab, und Lotto versucht sich lange glücklos als Schauspieler. Er trinkt, die Haare werden weniger, und Speck wächst über den Hüften. Sie wohnen im Souterrain ohne Möbel, und auf dem Höhepunkt der stets mit einem Lächeln weggedrückten Verzweiflung streicht Mathilde die Decke golden an. Es geht halt auf und ab, „nichts erstickte romantische Stimmung so zuverlässig im Keim wie eine Frau, die sich halb totschuftete“. Nach einer durchsoffenen Silvesternacht findet sie Lotto eingeschlafen vor dem Computer. Er hat sein erstes Stück geschrieben, das ihm zu legendärer Berühmtheit in Theaterkreisen verhelfen wird. Ohne dass er es mitkriegt, redigiert sie es so, dass Gold daraus wird. Sie leben fortan noch intensiver, mit Literatur, finden sich in antiken Dramen. Sie erschaffen Bühnenstücke, irgendwann ein Opernfragment. Er der Autor, sie der Spiritus Rector im Hintergrund. Lauren Groff findet für diese Texte im Text tatsächlich einen anderen Ton.

„Wie ist es denn, verheiratet zu sein?“, fragt eine Freundin. „Wie ein endloses Bankett“, antwortet Lotto. Aber das stimmt nur halb, denn alles fließt, Einssein und Trennung, Glückseligkeit und Zweifel. Immer abwechselnd. Sie hat nur eines im Sinn: ihn glücklich zu machen, ihm zum Erfolg zu verhelfen. Lottos Mutter verliert den Machtkampf mit Mathilde: „Wenn die eigene Familie einen verbannt, sucht man sich eben eine neue. Dieser trubelige, verschwitzte Taumel war alles, was (Lotto) vom Leben wollte; das war der Höhepunkt. Gott, er war so glücklich.“

Trotz einiger Schwächen wie einem im Schweinsgalopp skizzierten Anfang und gegen Ende dem Abhaken offener Fragen, ist „Licht und Zorn“ ein sehr lesenswertes, kluges, lebenslustiges Buch. Der zweite Teil beschreibt Mathilde, die Eiserne Lady, die alle inneren Stimmen ihrer kalten, einsamen Kindheit zum Schweigen verdonnert und im Bewusstsein der eigenen abgründigen Schlechtigkeit wie ein Engel lebt. Sogar ihrem einzigen Kunden, der für sexuelle Dienste ihr Studium bezahlte, hält sie, als er im Sterben liegt, noch einmal die Hand. Aus Zorn wird Licht, wie es scheint. Als alte Frau „sollte sie plötzlich erkennen, dass die Liebe nicht der Kern ihres Lebens gewesen war. Es hatte ungeheure Liebe darin gegeben, ja. Feuer und Magie... Und trotzdem – doch! – war ihr Leben (...) in seiner Summe sehr viel mehr als die Summe der Liebe darin gewesen“.

Lauren Groff, 19.9., 20 Uhr Zentralbibliothek, Karten zu 14 Euro unter T. 30 30 98 98.