Der Bundestrainer weist vor allem Führungskräften den Weg aus unserem Fehlersuchsystem

Neulich, bei der Pressekonferenz in Évian-les-Bains, hat Joachim Löw wieder so ein kleines kommunikatives Meisterwerk hingelegt. Die unvermeidbare Frage zur Halbfinalpleite von 2012 bei der EM gegen Italien – der wohl bittersten Niederlage in seiner zehnjährigen Amtszeit mit immerhin schon 134 Länderspielen – nutzte der 56-Jährige zu einem mehrminütigen Vortrag.

Löw gab freimütig zu, wie schmerzhaft das Ausscheiden gewesen sei, er erinnerte daran, dass alle (inklusive seiner Person) nicht die eingeforderte Leistung gebracht hätten: „Auch ein Trainer macht Fehler und verzockt sich mal bei der Aufstellung.“ Nach dieser ehrlichen Bestandsaufnahme führte Löw jedoch fast im gleichen Atemzug aus, wie ihn das 1:2 verändert habe, wie es ihm in seiner persönlichen Entwicklung geholfen und welche Lehren er daraus gezogen habe – und wie somit rückblickend ausgerechnet ein Tiefpunkt dazu beitrug, zwei Jahre später den WM-Titel in Brasilien zu gewinnen.

Et voilà! Aus einer Frage nach dem persönlichen Scheitern vor vier Jahren hatte Löw eine hübsche Geschichte mit sich selbst als strahlendem Sieger in einem Happy End konstruiert.

Nicht nur Fußballlehrer, sondern besonders Menschen mit Führungsverantwortung sollten sich die nächsten Interviews mit Löw einmal unter der Fragestellung anschauen, wie der Bundestrainer es immer wieder schafft, nicht in üblichen Erklärungsansätzen stecken zu bleiben, warum dieses oder jenes nicht funktioniert hat. Denn diese Herangehensweise hat unsere Gesellschaft förmlich überzogen. Ja, wir wälzen uns zu gerne in den negativen Dingen des Lebens, anstatt zu überlegen: Wie könnte es denn besser sein? Wo ist der Weg in die positive Welt?

Löw lebt diesen Ansatz fast in Perfektion vor. Herr Löw, bedrückt es Sie, dass Thomas Müller noch ohne EM-Tor ist? „Ich bin mit seiner Entwicklung absolut zufrieden.“ Herr Löw, wie sehen Sie die Rolle von Lukas Podolski? „Er ist ein absolutes Vorbild für die jungen Reservisten.“ Herr Löw, spielen Sie gegen die starken Italiener mit einer Dreier- oder einer Viererkette? „Wir müssen unsere Stärken ins Spiel bringen, unseren Fußball durchziehen.“ Herr Löw, ist die Pause zu lang bis zum Viertelfinale? „Es ist gut, wenn die Spieler zwischendurch Luft holen können.“ Und als sich nach dem 0:0 gegen Polen in der Gruppenphase die üblichen Experten zu Wort meldeten, ließ Löw die Kritik an sich abperlen: „Diese Dinge gehen an mir vorbei.“

Nicht dass wir uns falsch verstehen: Löws Konzept basiert nicht auf Schönrednerei, er benennt durchaus Probleme, aber er problematisiert sie nicht; für ihn sind es lediglich Aufgaben, Herausforderungen.

Die Gedanken der Spieler lenkt er so stets auf die anstehenden Ziele, wodurch ein negatives Ereignis aus der Vergangenheit automatisch verblasst. „Gegen Italien haben wir noch nie gewonnen“ wäre so eine Gedankenfalle, in die Löw nie tappen würde. Emotionale Führungsintelligenz könnte man seinen Stil wohl auch nennen.

Von der Schule an werden wir auf Fehlersuche programmiert. Ein Diktat wird nicht danach bewertet, wie viele Wörter richtig geschrieben werden, sondern wie viele falsche sich finden. Eines von vielen Erfolgsgeheimnissen Löws ist es, seinen Spielern ganz offensichtlich die Angst vor Fehlern genommen zu haben. Misslungene Aktionen sind normal und gehören dazu, weshalb sich bei Hummels & Co. der mentale Fokus darauf richten kann, was erreicht werden soll und wie es eben das nächste Mal gelingt. Deshalb werden die TV-Zuschauer niemals nach der stumpfen „Woran-hat’s-gelegen-Frage“ eines Reporters eine Aneinanderreihung von Fußballerphrasen aus dem Mund von Löw zu hören bekommen, weil es wenig konstruktiv wäre. Umgekehrt würde er zu seinen Spielern nie sagen: Ihr müsst heute gewinnen! Sondern eher: Es ist möglich, dass wir gewinnen. Und ich habe einige Hilfestellungen erarbeitet.

All dies macht Löw zu einer Führungsperson moderner Prägung – und zu einer echten Autorität, der sein Umfeld vertraut. Und zum positiven Vorbild für jeden Menschen.