Beim deutschen Nationalteam geht es längst nicht mehr nur um das nächste 1:0. Von einem EM-Trainingslager zwischen Sport, Kommerz und Politik.

    Am Dienstag war es endlich so weit: Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft, seit Kurzem von DFB-Manager Oliver Bierhoff nur noch als „Die Mannschaft“ bezeichnet, startete ihre Titelmission 2016. Um 17 Uhr die Landung am Flughafen Lugano. Live beim DFB-Kanal Twitter. Um 18.30 Uhr die Ankunft im Teamhotel Giardino. Live nur zu sehen beim DFB-eigenen Facebookaccount. Autogramme? Keine. Selfies? Keine Chance. Und ein öffentliches Training? Während der Vorbereitung in Ascona nicht geplant.

    Nun sind Vorbereitungen auch nicht primär zur Unterhaltung von Urlaubern oder Anwohnern gedacht, sondern, nun ja, zur Vorbereitung. Das war natürlich auch in der Vergangenheit so, auch wenn man bisweilen einen gegensätzlichen Eindruck gewinnen konnte. So stand besonders das Trainingslager in Südtirol vor der WM 2014 unter keinem guten Stern. Ein schlimmer Autounfall bei einem Sponsorentermin war der Tiefpunkt. Zu viel Marketing, zu wenig Fußball, so lautet seitdem immer wieder der Vorwurf.

    Die Frage, die man ganz profan und doch sehr ernsthaft stellen muss, lautet: Stimmt das überhaupt? Richtig ist sicherlich, dass die DFB-Auswahl schon lange sehr viel mehr als nur eine Fußball-Mannschaft ist. Chefvermarkter Bierhoff habe „Die Mannschaft“ zu einer „Hochglanzmarke“ entwickelt, hatte das Fachmagazin „Capital“ bereits vor einiger Zeit erkannt. „Stern.de“ ging sogar noch härter mit dem Weltmeister ins Gericht und nannte Deutschlands Fußballelite in dieser Woche ein „seelenloses Kunstprodukt“. Das Team wirke wie eine Sekte, schreibt die Online-Ausgabe des „Stern“, von „PR-Gehirnwäsche“ und von einem „Monster“, das Oliver Bierhoff erschaffen habe, ist da die Rede.

    Harte Worte. Und wenn man den Scheinwerfer auf das ganze Brimborium abseits des Platzes schwenkt, dann kommt man sicher nicht um eine kritische Bestandsaufnahme herum. Dass der Fußball längst zum Milliardengeschäft mutiert ist, wissen neben den Anhängern der Nationalmannschaft auch die Fans der Bundesligaclubs. Einen Nischenplatz für Fußballromantiker gibt es in diesem Business schon lange nicht mehr.

    Zu einer fairen Beurteilung der Nationalmannschaft gehört allerdings auch die andere Seite der Medaille. So kommen etwa sämtliche Einnahmen des Testländerspiels am Sonntag gegen die Slowakei in Augsburg den sozialen Stiftungen des DFB zugute. Immerhin vier Millionen Euro. Und fast noch wichtiger: Sechs Jahre nach der WM 2010, als die junge Nationalmannschaft der Özils, Boatengs und Khediras nicht nur für überraschend guten Fußball, sondern auch für gelungene Integration stand, trägt auch das heutige Team einen wichtigen Teil zur Politisierung des Fußballs im positiven Sinne bei. Das jüngste Beispiel: die (nicht geplante, aber umso amüsantere) Bloßstellung der Pegida-Bewegung.

    Anlass sind die neuesten Kinderschokolade-Verpackungen von DFB-Sponsor Ferrero: Sie zeigen nicht wie sonst das Foto eines süßen, kleinen, blonden Jungen, sondern – passend zum EM-Sommer – die Kinderbilder der süßen, kleinen und vor allem dunklen Boateng, Gündogan & Co. Was für die einen ein pfiffiger Marketing-Gag ist, ist für die anderen der Untergang des Abendlandes. So hat es im Internet einen wahren Aufschrei von „besorgten Bürgern“ gegeben, die sich über die Überfremdung der schmackhaften Schokoriegelchen empörten. „Armes Deutschland“ war noch einer der eher harmlosen Kommentare. Was die im Netz so umtriebigen Rechtsausleger aber kaum begreifen dürften: Dieses „arme Deutschland“ will nun in Frankreich Europameister werden. Mit Leistungsträgern wie Boateng, Khedira, Sané, Mustafi oder Gomez. Und natürlich auch mit Mesut Özil, der gerade erst ein Bild von sich beim Pilgergang nach Mekka gepostet hat. Ihnen allen im Sommer zuzujubeln bedeutet auch, einem offenen und multikulturellen Deutschland zuzujubeln.

    Für was genau steht also diese deutsche Fußballnationalmannschaft nun? Für zunehmenden Kommerz? Für immer mehr Sponsoren? Oder für mehr Toleranz? Für eine gelebte und gelungene Integration? Und für ein längst überfälliges Zeichen gegen die Eindimensionalität der AfD-Pegida-Wutbürger? Wohl ein bisschen für all das zusammen – und im Optimalfall für noch etwas: guten Fußball.