Berlin/Hamburg. Zur Verhinderung von Gettos in Großstädten plant de Maizière eine Residenzpflicht. Olaf Scholz signalisiert Unterstützung

Viele Flüchtlinge zieht es nach der Ankunft in Deutschland in die großen Städte. Hier rechnen sie sich größere Chancen aus, Unterkunft, Arbeit und auch Landsleute zu finden. Doch die Politik fürchtet Gettobildung – und will gegensteuern.

Um Gettos in den Großstädten zu verhindern, will Bundesinnenminister Thomas de Maizière anerkannten Flüchtlingen für eine bestimmte Zeit den Wohnsitz vorschreiben. „Eine Wohnortzuweisung für Flüchtlinge halte ich für dringend geboten, um Ballungsräume von den Risiken einer Gettobildung zu entlasten“, sagte der CDU-Politiker der „Welt am Sonntag“. Bundesbauministerin Barbara Hendricks vom Koalitionspartner SPD signalisierte Zustimmung: „Eine Wohnortzuweisung für einen gewissen Zeitraum kann ein sinnvolles, ergänzendes Instrument sein, wenn es richtig ausgestaltet ist.“ De Maizière müsse jetzt einen „rechtlich tragfähigen Vorschlag“ für eine gesetzliche Regelung vorlegen.

Unterstützung kommt auch von Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD): „Es besteht ein weitgehender Konsens darüber, dass es nicht gut wäre, wenn sich die anerkannten Flüchtlinge nach einiger Zeit an einigen wenigen Orten ballen“, sagte er dem Abendblatt. „Jedenfalls solange sie noch auf Sozialleistungen angewiesen sind, sollte das vermieden werden. Wer eine Arbeitsstelle findet, kann natürlich an den Ort der Arbeit ziehen. Die Erfahrungen mit der entsprechenden Regelung für Spätaussiedler waren gut. Spätestens wenn der rechtliche Rahmen durch den Europäischen Gerichtshof abgesteckt ist, sollte gehandelt ­werden.“ Antje Möller, flüchtlingspolitische Sprecherin der Hamburger Grünen, sieht den Vorstoß skeptisch: „Der Wohnsitzwechsel von Beziehern öffentlicher Leistungen unterliegt schon heute Beschränkungen und muss begründet werden. Daher ist das wohl eher eine Schein-Aktivität, die nur einen geringen Effekt hätte.“

Die Bundesregierung hatte bereits im Januar angekündigt, prüfen zu wollen, ob Wohnsitzauflagen für anerkannte Flüchtlinge und Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus ausgedehnt werden sollten. Solche Beschränkungen gibt es derzeit nur für Asylbewerber im Verfahren und Geduldete, solange sie nicht selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen können. Anerkannte Flüchtlinge dürfen sich frei bewegen. Das verlangt unter anderem die Genfer Flüchtlingskonvention.

Das Innenministerium hat bereits Eckpunkte für eine Neuregelung im Aufenthaltsgesetz erarbeitet. Über die Verteilung von Flüchtlingen auf bestimmte Wohnorte sollen demnach die Bundesländer entscheiden. Vorbild ist das frühere Wohnortzuweisungsgesetz für Spätaussiedler. Dies hatte in den 90er-Jahren alle neu zugewanderten Spätaussiedler für einen festgelegten Zeitraum an einen zugewiesenen Wohnort gebunden. Das befristete Gesetz lief Ende 2009 aus.

Seite 2 Kommentar