Hamburg . AfD-Austritt, Kurden-Protest: Turbulente Bürgerschaftssitzung im Rathaus. Nur bei einem Thema waren sich alle einig.

Die Bürgerschaftssitzung am Mittwoch, bei der unter anderem die Verlängerung des Autobahndeckels über die A7 Thema war, begann turbulent. Zunächst teilte Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD) mit, dass der Abgeordnete Ludwig Flocken seinen Austritt aus der AfD-Fraktion erklärt hat. Er werde sein Mandat nun als fraktionsloser Abgeordneter wahrnehmen.

Aus der AfD-Fraktion verlautete, Flocken sei seinem Rauswurf zuvor gekommen. Sein Ausschluss habe bereits zwei Mal auf der Tagesordnung der Fraktion gestanden, einmal sei die Sitzung jedoch abgesagt, ein anderes Mal sei das Thema vertagt worden, sagte Flocken am Mittwoch am Rande der Bürgerschaftssitzung. „Jetzt aber wäre es so gelaufen.“

Flocken galt in der AfD als Vertreter des rechten Randes und hatte etwa Pegida-Gegner als „die neue SA“ bezeichnet. Zudem habe Flocken ein ums andere Mal fremdenfeindliche Anfragen ohne Absprache mit der Fraktion an den Senat gestellt.

„Man muss sich an die Regeln halten“

Der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion, Alexander Wolf, betonte: „Man muss sich an die Regeln halten.“ Flocken sei jedoch nicht „in der notwendigen Weise“ bereit gewesen, als Mannschaftsspieler zu agieren. „Herr Flocken ist einem Ausschlussverfahren zuvorgekommen“, bestätigte Wolf.

Hintergrund der Auseinandersetzung sind unter anderem Kleine Anfragen an den Senat, die Flocken - wie er sagte - an der Fraktion „vorbeigeleitet“ hatte. In ihnen äußerte sich Flocken Kritikern zufolge mit einer Mischung aus Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Ebenfalls nicht tolerieren wollte die Fraktion laut Flocken, dass er bei den fremdenfeindlichen Pegida-Demonstrationen mitmache. „Die Fraktion akzeptiert es nicht, dass ich zu Pegida gehe.“ Er selbst wiederum sei unter anderem darüber verärgert, dass sich Fraktionschef Jörn Kruse für drei Monate einfach abgemeldet habe und mit seiner Frau in die USA gegangen sei. Wolf betonte, dass Kruse zu jeder Zeit informiert gewesen sei.

Mit dem Austritt Flockens hat die AfD-Fraktion in Hamburg nun noch sieben Mitglieder. Flocken will als fraktionsloser Abgeordneter in der Bürgerschaft bleiben. Der Öffentlichkeit war der Facharzt für Orthopädie aus Bergedorf vor allem dadurch bekannt geworden, dass er seinen Patienten freistellte, wie viel sie für ihre Behandlung zahlen wollen - und dafür vom Berufsgericht Hamburg einen Verweis erhielt.

Deckel über die A7

Nach wenigen Minuten musste die Aktuelle Stunde der Bürgerschaftssitzung für fünf Minuten unterbrochen worden. Mehrere Zuschauerinnen hatten mit Parolen und Plakaten gegen das Vorgehen der türkischen Regierung gegen Kurden demonstriert.

Dann ging es unter anderem um den Deckel über die Autobahn 7. Der vom Bund im Zuge der Sanierung und Erweiterung der A7 projektierte 730 Meter lange Lärmschutzdeckel soll nach den Plänen der rot-grünen Koalition in Hamburg auf 2300 Meter verlängert werden – aus Sicht der Grünen „ein Meilenstein für Hamburgs Stadtentwicklung“.

Und alle Fraktionen in der Hamburgischen Bürgerschaft haben sich einhellig zum Bau des A 7 Autobahndeckels in Altona bekannt - und zwar in der längstmöglichen Variante. Einen förmlichen Beschluss dazu gibt es zwar noch nicht. Dieser soll aber folgen, sobald die Senatsdrucksache vorliegt. Verkehrssenator Frank Horch (parteilos) nannte den Ausbau der A 7 samt Tunnel immens wichtig für die Wirtschaft und die Stadtentwicklung. Die Bürgerinitiative „Ohne Dach ist Krach“ hatte mehr als zwei Jahrzehnte dafür gekämpft.

Die Kosten in Höhe von rund 265 Millionen Euro will Rot-Grün durch den Verkauf von Grundstücken für 2200 Wohnungen entlang des verlängerten Deckels auf 180 bis 190 Millionen Euro senken. Weitere Themen sind unter anderem mehr Personal für den Verfassungsschutz und der Wohnungsbau.

A7-Sanierung kostet 1,6 Milliarden Euro

Die Sanierung und der Ausbau der Autobahn 7 wird voraussichtlich bis 2025 dauern. Neben dem Deckel im Bereich Altona sind zwei weitere Tunnel mit 550 beziehungsweise 960 Metern Länge in Schnelsen und Stellingen geplant. Zudem würden 72 Brücken gebaut oder saniert, 15,4 Kilometer Lärmschutzwand errichtet und die Fahrbahn zwischen Hamburg und dem Bordesholmer Dreieck in Schleswig-Holstein auf fast 60 Kilometern Länge auf sechs Spuren und innerhalb Hamburgs auf acht Spuren erweitert. Die Gesamtkosten für das Projekt an Deutschlands wichtigster Nord-Süd-Route wurden zuletzt auf knapp 1,6 Milliarden Euro taxiert.

Jahrhundertentscheidung für den Hamburger Westen

Ein erster Antrag für Lärmschutzwände an der Autobahn wurde bereits Mitte der 1970er Jahre gestellt. Einen Deckel über die Autobahn beantragten CDU und GAL in der Bezirksversammlung Altona erstmals 1987. Obwohl die Autobahn A 7 als wichtigste Nord-Süd-Route nach Angaben der Verkehrsbehörde von täglich rund 150.000 Fahrzeugen genutzt wird, passierte jedoch lange nichts. Streit gab es vor allem um die Finanzierung der Deckel. Senator Horch wies darauf hin, dass der Bund nur im Rahmen seiner gesetzlichen Pflicht Zuschüsse für den Lärmschutz in Höhe von rund 240 Millionen Euro gebe. Hamburg werde somit zwischen 160 und 200 Millionen Euro beisteuern müssen. „Die einmalige Chance aber auf qualitativ hochwertige Stadtentwicklung (...) in Verbindung mit dem dringenden Autobahnausbau liegt uns allen sehr am Herzen.“

So könnten durch die Deckel auf den derzeit noch lärmumtosten Grundstücken an der A 7 mehr als 3000 Wohnungen gebaut werden. Zudem entstünden zusätzlich rund 25 Hektar Grünflächen, sagte Horch. SPD, Grüne und CDU nannten die lange Tunnelvariante eine Jahrhundertentscheidung für den Hamburger Westen und für das Zusammenwachsen von bisher durch die Autobahn getrennte Stadtteile. Ähnlich äußerte sich die FDP, wies aber auch darauf hin, dass bislang offiziell noch nichts entschieden sei, die rot-grüne Koalition daher nur „warme Worte“ verbreite. Die Linken wiederum forderten, dass nicht nur ein Drittel, sondern mindestens die Hälfte der neuen Wohnungen Sozialwohnungen werden sollen.

Mehr Personal wegen Terrorgefahr

Angesichts der gestiegenen Terrorgefahr möchte Rot-Grün beim Verfassungsschutz mehr Personal einstellen. So will die Koalition in der Sitzung unter anderem zehn neue Stellen zur Beobachtung der islamistischen Szene beschließen. Außerdem würden neue Dienstwagen angeschafft und Geld für den Abbau von Überstunden sowie für Sicherheitszulagen zur Verfügung gestellt. Die Gesamtkosten in Höhe von knapp 1,3 Millionen Euro für 2016 sollen im Haushalt über die „Allgemeine Finanzwirtschaft“ abgedeckt werden. Der Verfassungsschutz rechnet in Hamburg 270 Personen dem dschihadistischen Salafismus zu.

Hamburg baut mehr Sozialwohnungen

Im Bereich Wohnungsbau nimmt Rot-Grün jene Tausende Menschen in den Blick, die in der Hansestadt unter einer prekären Wohnsituation leiden. So werde die städtische Wohnungsgesellschaft Saga/GWG per Beschluss verpflichtet, statt 1700 künftig 2000 vordringlich wohnungssuchende Haushalte pro Jahr zu versorgen. Zudem würden die Fördermittel für den Neubau von jährlich 2000 auf 2300 Sozialwohnungen für diesen Personenkreis ausgeweitet.

Ende 2014 gab es in Hamburg nach Angaben der Stadtentwicklungsbehörde knapp 8000 unversorgte vordringlich wohnungssuchende Haushalte. Zu ihnen zählen Obdachlose, von Obdachlosigkeit bedrohte Menschen, Menschen aus stationären Einrichtungen oder die Bewohnerinnen von Frauenhäusern.

Winternotprogramm auch tagsüber auf

Die Linken fordern zudem, das Winternotprogramm für Obdachlose ganztägig zu öffnen. Ein Erfolg ist jedoch ungewiss. Ein ähnlicher CDU-Antrag war im Herbst bereits abgelehnt worden. Ebenso erteilte die Sozialbehörde einer Online-Petition des Straßenmagazins „Hinz & Kunzt“ mit 57 000 Unterzeichnern eine Abfuhr. Für das Winternotprogramm stehen den Angaben zufolge nachts knapp 900 Plätze zur Verfügung. In Tagesaufenthaltsstätten gebe es an kalten Tagen zudem knapp 700 Plätze.