Kiel/Hannover.

Gelb, grün, rosa, blau: Die Karte des Pazifikareals ähnelt einem bunten Flickenteppich. Jeder Farbklecks steht für ein Land oder ein Konsortium, das Interesse am hiesigen Meeresgrund zwischen Hawaii und Mexiko angemeldet hat: blassgrün für Großbritannien, rosa für Frankreich, braun für Russland, blau für China, orange für Deutschland.

Bisher hat die Internationale Meeresbodenbehörde (IMB) etwa 15 Lizenzen zur Erkundung der Clarion-Clipperton-Zone (CCZ) vergeben. Das Areal erstreckt sich über mehrere Tausend Kilometer entlang des 10. Grads nördlicher Breite und birgt in der Tiefe wertvolle Rohstoffe. Jede Lizenz gilt 15 Jahre für ein Gebiet von etwa 75.000 Quadratkilometern – das ist mehr als die Fläche Bayerns.

Das Augenmerk der Interessenten gilt Manganknollen, die hier etwa 5000 Meter unter der Wasseroberfläche massenhaft auf dem schlammigen Meeresboden liegen. Wäre es in der Tiefe nicht stockfinster, sähe der Grund aus wie ein Acker, auf dem schwarzer Blumenkohl wächst. Neben Mangan enthalten die Knollen reichlich weitere wertvolle Metalle wie Nickel, Kupfer oder Kobalt. Insgesamt sollen hier 25 bis 40 Milliarden Tonnen Manganknollen ruhen.

Gegen die Ausbeutung der Tiefsee regt sich Widerstand

Noch hat niemand die technisch anspruchsvolle Förderung der Rohstoffe in Angriff genommen. Doch wenn eine wachsende Nachfrage die Preise auf den Weltmärkten in die Höhe treibt, wird diese Form des Tiefseebergbaus interessanter. Die Förderung der Manganknollen sei in greifbare Nähe gerückt, schrieb die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) schon im Jahr 2012. Zwar hat noch immer niemand ein solches Projekt in Angriff genommen, doch die Zeichen dafür mehren sich: Während sich anfangs nur Staaten um Erkundungslizenzen bewarben, tun dies seit einigen Jahren auch private Unternehmen wie etwa UK Seabed Resources, eine britische Tochter des US-Konzerns Lockheed Martin. Experten werten dies als Indiz dafür, dass sich die Ausbeutung solcher Vorkommen zu rechnen beginnt.

Manganknollen sind nicht das einzige Objekt der Begierde. Oberhalb der Tiefseeebenen haben sich an Vulkanhängen Eisen-Mangan-Krusten abgelagert, die reich an wertvollen Spurenmetallen sind, darunter Kobalt, Tellur, Titan oder Seltene Erden. Als dritte Rohstoffquelle geraten Massivsulfide in den Blick: Sie werden in Tiefen bis 5000 Meter an hydrothermalen Quellen, sogenannten Schwarzen Rauchern, gebildet. Für ein solches, 10.000 Quadratkilometer großes Gebiet im Indischen Ozean südöstlich von Madagaskar hat die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) für Deutschland vor einiger Zeit eine Explorationslizenz erworben. Bei einer Schiffsexpedition entdeckten die deutschen Wissenschaftler dort großflächige Erzvorkommen in einer Tiefe von 3100 Metern. „Die potenziellen Lagerstätten in der Tiefsee sind dreimal größer als bisher bekannt“, sagt BGR-Expeditionsleiter Ulrich Schwarz-Schampera. Verwaltet werden die Bodenschätze, die in internationalen Gewässern lagern, von der Internationalen Meeresbodenbehörde. Die UN-Behörde mit Sitz in Kingston, Jamaika, vergibt die Lizenzen für Erkundung und Abbau.

Doch gegen die Ausbeutung der Tiefsee regt sich Widerstand. Denn welche ökologischen Folgen der Bergbau hat, weiß niemand. Zwar sind Umweltprüfungen Vorbedingung für eine Ausbeutung der Vorkommen. Doch was heißt das schon in einem Lebensraum, den man allenfalls ansatzweise kennt?

Beispiel Manganknollen: Diese Gebilde sind im Laufe von Äonen aus dem Boden gekrochen, für wenige Millimeter Wachstum brauchen sie etwa eine Million Jahre. Ihre Oberfläche bietet Organismen wie Schwämmen im schlammigen Meeresgrund ein festes Substrat, auf dem sie siedeln können. Auch Tiefseekorallen oder Würmer wachsen auf den Knollen. Dazwischen schweben Seegurken, krabbeln Tiefseekrebse und bis zu 45 Zentimeter große Riesenasseln (Bathynomus). Die nährstoffarme Tiefsee enthält zwar nur relativ wenige Individuen, aber eine extreme Artenvielfalt.

Noch weit bizarrer ist das Leben auf den Sulfidkrusten an den Schwarzen Rauchern – die zu den artenreichsten Regionen der Tiefsee zählen. Die Fülle der hier gedeihenden Bakterienkolonien ernährt zahllose Arten von Röhrenwürmern, Muscheln, Seesternen, Garnelen, Krabben oder Anemonen. Viele davon sind hochendemisch, kommen also nur in einem kleinen Gebiet vor. „Im Gegensatz zu früheren Annahmen wissen wir heute, dass die Tiefsee nicht ein riesiger globaler Lebensraum ist“, sagt Prof. Antje Boetius vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung. „Jede Art hat ihre Heimat, und die ist oft sehr klein.“ Bringen Tiefseeexpeditionen Proben an die Oberfläche, ist etwa die Hälfte der Arten unbekannt.

Was der Abbau von Manganknollen für den Lebensraum bedeutet, untersucht das deutsche Störungsprojekt „Discol“ (Disturbance and Recolonization) im Peru-Becken im Pazifik. Etwa 650 Kilometer südöstlich der Galapagosinseln pflügten Forscher 1989 in gut 4100 Meter Tiefe versuchsweise eine Fläche von einem Quadratkilometer um – wie es bei der Ernte der Knollen üblich wäre. Noch sieben Jahre später fanden Wissenschaftler das Areal fast unverändert vor. 26 Jahre nach der Störung ist die Wissenschaftlerin Antje Boetius vorigen Sommer zurückgekehrt. Noch immer sind die Spuren des Pflugs am Meeresboden sichtbar. „Als ersten Eindruck können wir feststellen, dass wir seit der letzten Untersuchung vor 19 Jahren immer noch eine erhebliche Veränderung des Meeresbodens und seiner Lebensgemeinschaften feststellen“, schrieb Projektkoordinator Matthias Haeckel in einem Blogeintrag. „Unsere geochemischen Analysen an Bord zeigen, dass sogar die bakterielle Aktivität in den gestörten Schichten abgenommen (fast aufgehört) hat.“

Das Umweltbundesamt stellte in einem Bericht fest, mit den Knollen würden Lebensgemeinschaften komplett entfernt. „Bei der Zerstörung eines Lebensraums in der Größenordnung von mehreren Hundert Quadratkilometern kann man davon ausgehen, dass man Arten auslöscht“, sagt auch Boetius. Davon ist auch Sven Petersen vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel überzeugt: „Es werden riesige Flächen gestört“, sagt der Mineraloge. „Diese Tiergemeinschaften wird man so nie mehr zurückbekommen. Daran kann es keinen Zweifel geben.“

Auch in größerer Entfernung zu den Arbeiten könnten Lärm und Vibrationen Migrationsrouten beeinflussen und etwa Wale oder Delfine in Mitleidenschaft ziehen. Zwar hat sich die Internationale Meeresbodenbehörde den Umweltschutz auf die Fahnen geschrieben. Aber ihre Aufgabe ist es – so formuliert es die Präambel – den Bergbau in der Tiefsee zu ermöglichen. „Die Behörde wurde gegründet, um die Rohstoffgewinnung am Meeresboden zu fördern“, sagt Petersen.

Inzwischen werden auch einzelne Länder aktiv, auf deren Gebiet Rohstoffe lagern. Die Cook-Inseln, in deren Hoheitsgewässern die kobaltreichsten Manganknollen vorkommen sollen, haben erste Erkundungslizenzen ausgeschrieben. Und für ein Gebiet vor Neuguinea, Solwara-1, hält das kanadische Unternehmen Nautilus Minerals schon eine Abbaulizenz für Massivsulfide in 1700 Metern Tiefe. „Die Abbaugeräte stehen im Lager in Großbritannien, der Auftrag zum Bau eines Schiffes ist schon erteilt“, sagt Petersen. Die Förderung, so schreibt das Unternehmen auf seiner Internetseite, soll Anfang 2018 beginnen.