Washington.

„Ich bin ein Krieger im Namen der Babys!“, schrie der hünenhafte Mann, der Ende November die Filiale von Amerikas größter Beratungsstelle für Familienplanung und Abtreibungsfragen (Planned Parenthood) in Colorado Springs stürmte. Dann feuerte Robert Lewis Dear (57) blind drauflos. Am Ende waren drei Menschen tot und die Vereinigten Staaten wieder einmal schmerzhaft daran erinnert, dass der von Moral und Religion angetriebene Kulturkampf um die Beendigung des ungeborenen Lebens alles andere als vorbei ist. Im Gegenteil. Ausgerechnet zum Tag der Geburt Jesus Christus kommt das Nachrichtenmagazin „Newsweek“ jetzt mit einem Fötus auf dem Titelblatt auf den Markt. Überschrift: „Amerikas Abtreibungskrieg“.

Obwohl der Oberste Gerichtshof in Washington vor 42 Jahren Abtreibungen grundsätzlich erlaubt hat, sehen sich Einrichtungen und Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, zunehmend Drohungen, Hass und tödlicher Gewalt ausgesetzt.

Die Republikaner wollen eine Kurskorrektur bei der Abtreibung

Viele Abtreibungskliniken reagieren darauf mit Überwachungskameras, Türen wie in Gefängnissen, Schutzräumen und kugelsicheren Westen für die Mitarbeiter. „Es ist wie im Belagerungszustand“, sagte die Chefin von Planned Parenthood in einem Kongressausschuss in Washington. Vor allem in den konservativen Bundesstaaten im Süden und Mittleren Westen kommt es nach Angaben des renommierten Guttmacher-Instituts häufiger zu Vandalismus, Landfriedensbruch Brandstiftung. Über 10.000 Zwischenfälle sind registriert, von der Bombendrohung bis zur Klinikblockade.

Amerikas „Abtreibungskrieg“ wird von der gesellschaftspolitisch nach rechts gerutschten republikanischen Partei und ihren radikal religiös grundierten Vorfeld-Organisationen geführt. Mit satten Mehrheiten im Kongress in Washington und in vielen Parlamenten der 50 Bundesstaaten ausgestattet setzten die Konservativen zu einer „Kurskorrektur“ an, wie die „Washington Post“ schreibt.

Erklärtes Ziel ist es, die Jahrhundertentscheidung „Roe versus Wade“ aufzuheben. Jane Roe war damals nach einer Vergewaltigung schwanger geworden. Nach der Gesetzgebung des Staates Texas, der sich durch den Staatsanwalt Henry Wade vertreten ließ, war ihr die Abtreibung untersagt. Ihr Fall landete vor dem Obersten Gerichtshof. Am 22. Juli 1973 entschieden die Richter in Washington, das Recht auf Abtreibung in ganz Amerika zu vereinheitlichen. Seither ist jeder Frau der straffreie Abbruch maximal bis zur 24. Schwangerschaftswoche gestattet.

Auf welch dünnem Fundament der Beschluss steht, beweist der laufende Präsidentschaftswahlkampf. Republikanische Kandidaten von Ted Cruz bis Marco Rubio sprechen sich radikal gegen Abtreibung aus, selbst im Falle von Inzest oder Vergewaltigung.

Als Prügelknabe dient ihnen das jährlich mit 500 Millionen Dollar vom Staat unterstützte Netzwerk Planned Parenthood. Als der Organisation unterstellt wurde, mit Körperteilen abgetriebener Föten Geschäfte zu machen, plädierten die Republikaner dafür, dem Verband sämtliche Zuschüsse zu streichen. Dass die Videoaufnahmen, die als Beweismaterial dienten, grotesk manipuliert waren, ging im Kriegsgeschrei unter.

Wenn auf der obersten Richterbank einer der neun Plätze frei wird, wollen Cruz und Rubio im Falle ihrer Wahl einen erzkonservativen Juristen nachrücken lassen – der Beschluss von 1973 könnte dann kippen.

Dabei hat die Zahl der Abtreibungen nach Statistiken der staatlichen Gesundheitsaufsicht CDC radikal abgenommen – von 1,6 Millionen im Jahr 1990 auf 1,1 Millionen in 2010 und auf rund 700.000 im Jahr 2012. Liberale Organisationen glauben, ein leichterer Zugang zu Verhütungsmitteln und verbesserte Aufklärung seien dafür verantwortlich. Fundamentale Abtreibungsgegner führen die Entwicklung dagegen auf die hohen Hürden zurück, die immer mehr Bundesstaaten aufgestellt haben, um laut „New York Times“ das Oberste Gericht zu unterlaufen.

Allein in den vergangenen fünf Jahren wurden landesweit über 400 Gesetze und Verordnungen erlassen, die Abtreibungsärzten das Leben zur Hölle machen und vielerorts zu Klinikschließungen führten. Am weitesten trieb es Texas. Dort wurde 2013 verfügt, dass Abtreibungsärzte in einem benachbarten Krankenhaus zugelassen sein müssen und technisch die gleichen Anforderungen wie ambulante OP-Kliniken zu erfüllen haben. „Reine Schikane“, sagen demokratische Abgeordnete in Washington. Ob die Auflagen verfassungskonform sind, wird der Oberste Gerichtshof entscheiden. Amerikas Abtreibungskrieg geht im Frühjahr 2016 in die nächste Runde.