Berlin.

Als die Ärzte dem Patienten die Schädeldecke für einen Eingriff am Gehirn unter lautem Geräusch öffneten, mixte der sich gerade am Strand einen Fruchtcocktail. Jedenfalls glaubte er das. Tatsächlich lag der Mann in einem Operationssaal der Uniklinik Regensburg. Das Geräusch: Kein Cocktailmixer, sondern die Säge an seinem Schädelknochen. Alles andere als Strandurlaub. Doch mithilfe des Anästhesisten Professor Ernil Hansen befand sich der Mann in einem hypnotischen Zustand nach innen gerichteter Aufmerksamkeit. Der Mann war also bei Bewusstsein, nur an einem schöneren Ort. „Denn überall ist es schöner als im Operationssaal“, sagt Hansen.

Der Anästhesist setzt sich seit vielen Jahren dafür ein, die Hypnose wieder in die Medizin zu bringen – in die Lehrbücher, Leitlinien, auf die Kongresse. Denn seit der Entwicklung medikamentöser Narkosemittel ist die Hypnose fast ganz aus der Schulmedizin verschwunden. Obwohl die positiven Effekte im klinischen Einsatz längst nachgewiesen wurden: So kann der Verbrauch von Schmerzmitteln erheblich reduziert werden, die Übelkeit, die nach einer Vollnarkose häufig auftritt, wird stark reduziert, die Menschen haben weniger Angst.

Trotzdem sind die meisten Ärzte skeptisch. „Als Anästhesist wird man dazu erzogen, mit der Vollnarkose zu arbeiten“, sagt Professor Marie-Elisabeth Faymonville, die bereits seit Anfang der 90er-Jahre bei chirurgischen Eingriffen am Centre hospitalier universitaire (CHU) im belgischen Lüttich die sogenannte Hypnosedation anwendet – eine Kombination aus Hypnose und leichten Medikamenten. Auch die Patienten hätten Vorurteile. „Die Hypnose wird häufig als eine höhere Macht angesehen, mit deren Hilfe man Kontrolle über jemanden ausüben kann. Doch das ist falsch“, sagt Anästhesistin Faymonville. „Es ist ein Talent, das jeder Mensch besitzt.“ Und das den Menschen helfen kann, nach einer Operation schneller wieder auf die Beine zu kommen – 15 Tage eher als Patienten mit einer Vollnarkose, zitiert Faymonville aus einer Studie.

Was genau bei Hypnose im Gehirn geschieht, wenn unser Schmerzempfinden reduziert oder sogar völlig ausgeschaltet wird, weiß man noch nicht. „Wenn wir das wüssten, hätten wir wohl schon den Nobelpreis bekommen“, sagt Professor Dr. Ulrike Halsband, die zum Thema an der Universität Freiburg forscht und lehrt. „Wir wissen, der Mensch kann das subjektive Schmerzempfinden vom physischen Schmerz abkoppeln. Die genauen neuronalen Funktionen, wie der Schmerz ausgeschaltet werden kann, kennen wir noch nicht.“ Doch nachweisen kann man die Wirkung von Hypnose auf das Gehirn längst: Mithilfe verschiedener Verfahren wie der Elektroenzephalografie (EEG) oder der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) lassen sich plastische Veränderungen im Gehirn während einer Hypnose beobachten.

Beispielsweise im Sehzentrum. Halsband erklärt es mit einem Beispiel: Ein weißer Schreibtisch. Sagt sie jemandem, den sie in eine Trance versetzt hat, der Tisch sei grün, nimmt er ihn auch als solches war. „Das Hirn erlebt die Farbe als Realität. Die Neuronen reagieren genauso, als ob man die Farbe tatsächlich gesehen hätte.“ Doch trotz der neurowissenschaftlichen Belege und dem Nachweis der Wirksamkeit der Hypnose bei einer Vielzahl psychischer und psychosomatischer Erkrankungen sowie bei der Schmerzreduktion hat es die Hypnose in Deutschland schwer.

Das bestätigt auch Ernil Hansen. „Die Hypnose wirft ein grundlegendes Bild unserer Medizin über den Haufen: Denn normalerweise lässt der Patient alles passiv über sich ergehen.“ Moderne Hypnose beruhe auf dem Gedanken, dass das Wesentliche im Patienten selbst liegt und geschieht. Das stärke auch den Patienten. „Sie sind nach der Operation so stolz darauf, das geschafft zu haben und selbst etwas beigetragen zu haben. Der Patient wird zum Partner. Das ist der Medizin noch ziemlich fremd.“ Doch Hansen betont auch, dass nicht gelte: Hypnose statt Narkose oder Lokalanästhesie. Sie solle zusätzlich unterstützend eingesetzt werden.

Das Licht von der Operationslampe war die blendende Sonne im Wald

Anders als in Deutschland ist die Hypnose im klinischen Bereich in Belgien weiter verbreitet. Am Universitätsklinikum Lüttich wurden bereits 9000 Patienten unter Einsatz von Hypnosedation operiert. Es waren Operationen an der Schilddrüse, bestimmte Tumoroperationen und Eingriffe am Kiefer oder an der Nase. Die Patienten bekommen eine lokale Betäubung und ein leichtes Beruhigungsmittel. Dann hilft Marie-Elisabeth Faymonville den Patienten, sich in die Hypnose gleiten zu lassen. „Es ist eine Teamarbeit. Der Patient bringt seine Ressourcen mit, und wir überwachen ihn“, erklärt sie.

In einem Vortrag beschreibt sie das Fallbeispiel eines 12-jährigen Jungen, dem in einer Operation ein gutartiges Geschwulst entfernt werden soll: Nach einer zehnminütigen Einführung in die Hypnose durch Konzentration und Entspannung schickte sie ihn zusammen mit seinen Freunden auf eine Fahrradtour. Die Tour führte ihn durch den Wald. Einmal machten sie ein Wettrennen – der Moment, in dem die Lokalanästhesie gesetzt wurde. Während die Operationsschwester die zu operierende Stelle mit einer Desinfektionslösung abwusch, machten die Jungs Halt an einem Bach und warfen Steine ins Wasser. Warf die OP-Lampe starkes Licht auf seine Augenlider, machte sie den Patienten darauf aufmerksam, dass die Sonne im Wald blendete. „Einige Patienten erzählen nach dem Eingriff, es sei ein wunderschönes Erlebnis gewesen“, sagt Faymonville. Doch der Einsatz der Hypnose hat auch Grenzen. In Lüttich wurde bei 18 der 9000 Patienten während der Operation doch eine Vollnarkose gesetzt. Zum Beispiel, weil sich der Eingriff als komplizierter erwies als gedacht. Auch bei Operationen am Herz und an der Lunge ist der Einsatz von Hypnosedation als Narkosetechnik nicht möglich.

„Doch es gibt Bereiche, in denen die Medizin relativ hilflos ist“, sagt Ernil Hansen. Zum Beispiel bei der Angst der Patienten vor einer Operation, der mit Medikamenten nur schlecht beizukommen ist. Dort könne man das Wissen über Hypnose und über die Wirkung von Worten gut einsetzen. „Dazu ist eine Hypnoseausbildung hilfreich, aber nicht Bedingung“, so Hansen. Er nennt es einfach therapeutische Kommunikation, das Auslösen einer Hypnose sei häufig gar nicht nötig. „In medizinischen Situationen sind die Menschen durch ihre Angst ohnehin in einer Trance und dadurch sehr empfänglich für Suggestionen“, erklärt Hansen. Negative wie positive. Das Wissen über Hypnose könne helfen, den angstbedingten Trancezustand der Patienten zu nutzen, um mit ihm positiv zu kommunizieren. Denn auch das ist nachgewiesen: Selbst in Vollnarkose nehmen Patienten positive Worte auf und genesen schneller.