Berlin. Die Diagnose: Chronische Sinusitis. Immer mehr Menschen in Europa leiden unter der Entzündung der Nebenhöhlen.

Die Nebenhöhlen. Ihr biologischer Sinn ist nicht ganz klar, aber vielen Menschen bereiten sie Probleme. Mehr als zehn Prozent der Bundesbürger leiden unter einer Entzündung der Nebenhöhlen, Fachterminus chronische Sinusitis. Eine Quote, die selbst viele Mediziner überrascht. Dabei sollte diese Erkrankung möglichst früh erkannt und therapiert werden, denn ansonsten drohen Hirnhautentzündungen und andere schwere Komplikationen.

Leonardo da Vinci sah in ihnen das Nährstoffreservoir für die Zähne und der englische Arzt Thomas Willis hielt sie für die Wurzel der menschlichen Triebe. Diese Ansichten sind seit Jahrhunderten überholt, doch was genau eigentlich der biologische Sinn der Nasennebenhöhlen, also der Stirn-, Kiefer- und Keilbeinhöhlen s owie der Siebbeinzellen ist, steckt immer noch im Dunkeln. Der Stimmbildung – wie viele HNO-Ärzte und Logopäden vermuten – dienen sie nämlich nicht, weil sie nur bei sehr hohen Frequenzen mitschwingen. Und auch ihre Rolle als Atemluftbefeuchter und Airbag für den Aufprallschutz des Schädels ist keinesfalls bewiesen. Die evolutionsbiologische These, wonach sie das Gesamtgewicht des Schädels reduzieren sollten, wurde mittlerweile sogar widerlegt. Denn als Wissenschaftler die Höhlen mit Kalk ausfüllten, stieg das Schädelgewicht gerade Mal um ein Prozent.

Der Luzerner Wissenschaftler Ulrich Glück kommt daher in einer Abhandlung über die physiologische Bedeutung der Nasennebenhöhlen zu dem Fazit: „Man muss sich über den Zweck dieser merkwürdigen Strukturen wundern.“ Ihr Nutzen sei fraglich, und dafür seien die von ihnen ausgehenden Krankheitsprobleme erheblich. Oder anders ausgedrückt: Die Nasennebenhöhlen machen in erster Linie Ärger – und das tun sie, wie jetzt eine Studie ermittelt hat, mehr denn je.

Elf Prozent sind betroffen

Ein internationales Forscherteam unter Deniz Hastan von der Universität Amsterdam ermittelte in einer Untersuchung an etwa 57.000 Personen, dass knapp elf Prozent der europäischen Bevölkerung an chronischer Sinusitis leiden. „In Duisburg fand man sogar eine Quote von 14,1 Prozent“, erklärt Achim Beule von der Universität Greifswald, während die befragten Ärzte lediglich von 8,4 Prozent ausgegangen waren. Die hohe Anzahl an chronischen Sinusitis-Fällen könnte mit den Schadstoffbelastungen im Ruhrgebiet zu tun haben, vermutet der HNO-Arzt.

Die insgesamt hohe Erkrankungsquote hat jedoch vor allem mit einer Bakterie zu tun: Nämlich Staphylococcus aureus. Dieser Keim kann sich zwar nicht aus eigener Kraft fortbewegen, doch das gleicht er aus durch seine bemerkenswerte Anpassungsfähigkeit. So versteht er sich bestens darauf, das Immunsystem des Menschen hinters Licht zu führen. Bei Patienten mit chronischer Nebenhöhlenentzündung produziert er ein spezielles Gift, das den menschlichen Organismus dazu anregt, große Mengen an Immunglobulin E (IgE) auszuschütten. Dieser Antikörper ist eigentlich für die Abwehr von Würmern und einigen Pilzen gedacht, bei Bakterien wie Staphylococcus aureus ist er eher die falsche Antwort. Der Keim selbst bleibt also mehr oder weniger unbehelligt, und stattdessen wird der Körper mit IgE geflutet, das selbst zu einem Problem werden kann: Es spielt eine zentrale Rolle in der Entstehung von Allergien.

In der Folge schwellen die Schleimhäute in den Nebenhöhlen, es zeigen sich Symptome wie eine ständig verstopfte Nase und ein Druckgefühl im Stirn- und Wangenbreich. Sie sind zwar unangenehm und lästig, zwingen aber den Patienten nicht unbedingt zum Arztbesuch. „Chronische Entzündungen der Nasennebenhöhlen schleichen sich oft durch die Hintertür ein“, warnt Beule. Die Betroffenen würden versuchen, ihren privaten und beruflichen Pflichten weiter nachzugehen, anstatt zurückzuschalten und die Erkrankung behandeln zu lassen. Und die Chancen darauf, dass sie von allein verschwindet, sinken auf Null.

Stattdessen steigt das Risiko, dass sich andere Erkrankungen andocken. Die Betroffenen leiden öfter an Asthma, außerdem können sich die Entzündungen aus den Nasennebenhöhlen leicht auf andere Gewebeteile übertragen, wie etwa auf die Augenhöhlen oder sogar das Gehirn. Insgesamt fehlen chronische Sinusitis-Patienten jährlich fast fünf Tage häufiger an ihrem Arbeitsplatz als andere Arbeitnehmer.

Gründe genug also, die Erkrankung ernst zu nehmen und frühzeitig zu behandeln. Hier gilt der Grundsatz: Erst Medikamente, dann Operation. So lässt sich eine chronische Sinusitis oft schon durch kortisonhaltige Nasensprays behandeln. „Sechs Prozent der Patienten entwickeln hier zwar ein Nasenbluten“, erklärt Beule, „doch ansonsten werden die Sprays in der Regel gut vertragen, da sie ja nur örtlich begrenzt im HNO-Bereich zum Einsatz kommen“. Durch Nasenspülungen mit einer iso- oder hypertonen Kochsalzlösung kann man zudem oft eine Linderung der Symptome erreichen, da sie den Nasenschleim verflüssigen und dadurch seinen Abtransport unterstützen. Oft werden auch Antibiotika eingesetzt, um die Keime in den Nebenhöhlen zu eliminieren. Das Problem dabei: Gerade Staphylococcus aureus macht in jüngerer Zeit von sich Reden, weil er Resistenzen gegenüber vielen Antibiotika aufgebaut hat.

133.000 Operationen jährlich

Sofern die medikamentöse Therapie nichts mehr ausrichten kann und sich die Entzündung bereits in „handfesten“ Wucherungen, den sogenannten Polypen niedergeschlagen hat, bleibt oft nur noch der Griff zum Skalpell. Allein in Deutschland werden jährlich 133.000 Operationen an den Nasennebenhöhlen durchgeführt. Der Eingriff erfolgt mittlerweile meist endoskopisch, indem ein Schlauch mit den OP-Instrumenten durch die Nasenöffnung geführt wird. Dabei begradigen die Chirurgen die Nasenscheidewand, und sie entfernen die Polypen und entzündete Schleimhautpartien. Als neue Methode steht ihnen seit 2008 die sogenannte Ballon-Sinuplastie zur Verfügung. Dabei werden Ballonkatheter zu den Engstellen im Höhlensystem geschoben und kurz aufgepumpt, um die verengten Regionen auszuweiten und wieder Platz für die Luft und die ablaufenden Nasensekrete zu schaffen. Bei großen Polypen oder komplizierteren anatomischen Verhältnissen stößt das Verfahren jedoch an seine Grenzen.

Hoffnung auf eine weitere Therapieoption macht der Wirkstoff Omalizumab, der bisher vor allem bei schwerem allergischem Asthma zum Einsatz kommt. Weil er als Antikörper das problematische IgE aus dem Verkehr ziehen kann, klingt es geradezu logisch, dass er auch bei Sinusitis helfen könnte. Doch das muss er erst noch in klinischen Studien beweisen, ganz zu schweigen davon, dass er teuer ist und im Verdacht steht, das Krebsrisiko zu erhöhen. Diese Probleme hat man bei einer probiotischen Therapie nicht, und auch sie könnte bei Sinusitis eine ernsthafte Chance haben. Denn Studien haben ergeben, dass Patienten mit chronischer Sinusitis eine unausgewogene Darmflora haben: Nämlich zu wenige Milchsäurebakterien, und deshalb zu viele schädliche Keime, die keine Gegner aus dem Milchsäurelager fürchten müssen. Diese Dysbalance könnte man beispielsweise mit einem probiotischen Joghurt beheben – im Experiment an Ratten hat sich dieser Ansatz bereits bewährt.