Ab Sonnabend testen Meinungsforscher die Stimmung für Olympia in Hamburg und Berlin – eine Vorentscheidung über die Spiele

Am 30. Mai 2006 schien die Fußball-Weltmeisterschaft schon vor dem Anpfiff ins Wasser zu fallen. Bis zum Eröffnungsspiel blieben nur noch zehn Tage, in Hamburg regnete es seit Wochen Hunde und Katzen. Bürgermeister Ole von Beust eröffnete die Velux-Lounge auf dem Heiligengeistfeld-Bunker und flüchtete sich in Zweckoptimismus. Die Stimmung der anwesenden Gäste glich dem Wetter. Von WM-Euphorie keine Spur, eine Kollegin prophezeite schon das ganz große Scheitern. Sportlich rechneten alle Experten nach dem 1:4-Debakel der Klinsmann-Elf im März gegen Italien ohnehin mit dem Schlimmsten.

Es würde zweifelsohne ein Albtraum werden. Der frühere Sprecher der Bundesregierung Uwe-Karsten Heye riet kurz vor Beginn der Weltmeisterschaft allen Ernstes dunkelhäutigen WM-Touristen, bestimmte Gegenden in Deutschland aufgrund der weit verbreiteten Fremdenfeindlichkeit zu meiden. „Es gibt kleinere und mittlere Städte in Brandenburg und auch anderswo, wo ich keinem raten würde, der eine andere Hautfarbe hat, hinzugehen. Er würde es möglicherweise lebend nicht wieder verlassen“, unkte der SPD-Politiker. Damit überhaupt so etwas wie Stimmung bei den notorisch unzufriedenen, intoleranten und verzagten Bundesbürgern aufkommen konnte, hatten Verlage und Werber 2005 eine millionenschwere Image-Kampagne „Du bist Deutschland“ aufgelegt. Hätte man in diesen Tagen über die Vergabe der Fußball-WM in Deutschland abgestimmt, das Desaster wäre programmiert gewesen.

Gut, dass es keine Volksbefragung gab. Denn dann wäre das Sommermärchen, dieser große Sommer des Jahres 2006, einfach ausgefallen.

Es hätte nicht vier Wochen gegeben, in denen viele Fremde und noch mehr Deutsche ihr Land neu und anders entdeckten. Sympathisch, selbstgewiss, sinnenfroh. Der Sport hat Deutschland verwandelt, die Welt war tatsächlich zu Gast bei Freunden. Leichtigkeit und Fröhlichkeit lagen über dem Land. Wer einmal über das Fan-Fest auf dem Heiligengeistfeld schlenderte, sah Brasilianer, Südkoreaner, Afrikaner zusammen feiern. In den U-Bahnen und Zügen, den Straßen und auf den Plätzen wiederholte sich dieses Bild; vom Himmel brannte eine heiße Sonne auf eine endlose Party. Und ein neues Deutschland brannte sich in die Köpfe und Herzen der Hamburger.

Jetzt haben wir die Möglichkeit, die Welt zurück in die Stadt zu holen, es gibt die Chance auf ein Sommermärchen 2.0. Viele Hamburger ergreifen sie, engagieren sich ehrenamtlich für Stadt und Spiele. Welchen Schub ein Zuschlag dieser Bewegung verleihen würde, lässt sich schon erahnen.

Um nicht missverstanden zu werden: Kritik an den Spielen birgt immer die Chance, sie besser zu machen. (N)Olympia etwa ist skeptisch, aber konstruktiv. Begeisterung allein ist als Ratgeber nicht ausreichend, ein kühler Kopf und noch kühlere Rechner sind von Nöten. Viele Sorgen – ob die der Hafenwirtschaft, der sozial Schwachen oder der Umweltschützer – müssen gehört werden. Aber die Vorbehalte sollen ein „Ja, aber“ werden, kein „Nein“.

Manche Gegenargumente klingen schräg. Warum mäkeln einige an der Klimabilanz der Spiele kurzer Wege – würde das Weltklima in Boston eher gerettet? Weshalb fordern andere einen Kassensturz, wohlwissend, dass es dafür zu früh ist? Wieso kritisieren sie das Internationale Olympische Komitee ausgerechnet in dem Moment, in dem sich dieser lange so fragwürdige korrupte Altherren-Club endlich reformiert? Mit seiner Agenda 2020 möchte sich das IOC verändern. Olympische Spiele an der Elbe wären ein Reformprojekt, ein Stück Perestroika im Weltsport.

Ab Sonnabend wird der Deutsche Olympische Sportbund die Stimmung in Hamburg wie in Berlin in einer Umfrage messen. Der Gewinner bekäme Rückenwind für die Entscheidung. Man kann aus Tradition dagegen sein; klüger ist, sich an die Spitze der Reformbewegung zu stellen. Reflexhafter Widerstand bringt nicht weiter, sondern raubt der Stadt eine Entwicklungschance. Sommermärchen kann man verhindern; schöner ist, es neu zu erzählen.

Olympia ist ein Wagnis, das wert ist, es einzugehen. Die Kollegin übrigens, die 2006 das ganz große Scheitern prophezeite, steckte kurz darauf Deutschland-Fähnchen ans Auto.